Dienstag, 31. Januar 2012

Ich bin kein Star - holt mich hier raus! - Dschungelcamp 2012

Alles, was zu dumm ist, um gesprochen zu werden, wird gesungen.
Voltaire

Ich weiß nicht, wie viele Menschen es mitbekommen haben, aber tatsächlich habe ich mir das "Dschungelcamp" angetan - vom Anfang bis zum Ende. Der Anfang findet sich hier, das Ende dort. Aber warum?
Ganz einfach. Nein, eigentlich nicht ganz einfach. Im Grunde ging es darum, dass diese Sendung nicht nur ein Publikums-, sondern langsam auch ein Kritikererfolg wurde. Das "clevere Konzept" wurde gelobt und betont, wie sehr sich gerade "Ich bin ein Star - holt mich hier raus" von den anderen Sendungen unterscheidet, in denen Menschen vor den Kameras bloßgestellt werden. Und auch im Nachgang sind die Kritiken zu einem Gutteil positiv, etwa wenn es um Brigitte Nielsen, die Dschungelkönigin geht. An anderer Stelle wird auf das "Leben danach" eingegangen, das ja irgendwie wieder einigermaßen "normal" verlaufen sollte. Zumindest so, wie "normal" von den Stars verstanden wird.

Aber beginnen wir am Anfang. Mitten in der diesjährigen Staffel von "IBES", wie die Sendung von Fans abgekürzt wird (und auf diese Weise auch zum Twitter-Hashtag "#IBES" wurde), wurde ich auf einen Artikel aufmerksam, der das Gesamtkonzept "RTL" auf eine Weise beleuchtet, die ich interessant finde: Als in sich geschlossenen Mikrokosmos. Eine Art parallele Realität, die mit unserer Realität nicht immer was zu tun hat. Ein solches Konzept findet sich in so manchen Science-Fiction-Geschichten, oft soll damit dargestellt werden, dass es manchmal an kleinen Entscheidungen hängt, die die ganze Weltgeschichte verändern können.
Ganz so verhält es sich bei RTL nicht. Robert J. de Lapuente schreibt in "Ein in sich abgeschlossener Mikrokosmos" davon, wie bei dem Privatfernsehesender eine parallele Realität geschaffen wird, die unserer sehr ähnlich ist und deswegen gern damit verwechselt wird. Unter anderem geht das auf dem Weg, dass sich die meisten Sendungen aufeinander beziehen. Ein gescheiterter Möchtegern-Sänger bei "Deutschland sucht den Superstar" ist am nächsten Tag eine Meldung bei "Punkt 12", dem selbsternannten "Nachrichtenmagazin", und Abends nochmals bei "RTL Aktuell". Überhaupt, alles wird Nachricht, ob jemand abnehmen will, sein Haus verkaufen oder den Partner mittels Blinddates sucht. RTL bildet in diesem Reigen den Mittelpunkt des Universums, denn, so De Lapuente weiter:

RTL ist in diesem kuriosen Weltbild nicht nur Kameramann, fängt nicht nur Bilder ein. RTL ist Spender, galanter Helfer, Anreger - kurz, ein weiser Weltenlenker, der seine Schäfchen bei der Hand nimmt oder auf die Finger schlägt, je nachdem. Man hilft beim Finden von Lebenspartnern, beim Ausbau der Wohnung, beim Führen von Restaurants. Dafür blamiert man die Beteiligten nicht selten bis auf die Knochen - aber wer hilft, der darf auch spotten, ist die Maxime des Senders. Man führt Spendenmarathons durch, brüstet sich der Millionen, die der Bertelsmann-Konsument, vulgo: RTL-Zuschauer, ausschüttet und läßt die Milliarden von Bertelsmann und/oder RTL ruhig auf dem Konto schlafen. Der Sender ist die selbsternannte moralische Schule der Nation, in der es ganz besondere Leitsätze gibt. Blamiere Deinen Nächsten, ist so nur einer davon. 

Auf diese besondere Weise wird vorgegaukelt, das Paralleluniversum von RTL sei unsere Realität. Es kam ja schließlich in den "Nachrichten", also muss es wahr sein. Dabei werden allerdings leider ständig Klischees bedient, jeder Ausländer hat irgendwie Probleme mit der freizügigen deutschen Kultur und jeder Arbeitslose und / oder Hartz-IV-Empfänger ist faul und will einfach nur nicht arbeiten. 


Es ist erstaunlich, aber aus dieser grauen Masse sticht "Ich bin ein Star - holt mich hier raus" tatsächlich heraus. In allen anderen Formaten sind es zumeist die Menschen, die keine oder kaum Erfahrung mit dem Mediendschungel haben, die vorgeführt werden. Einfach, weil sie keine Ahnung haben, wie sie auf dem Bildschirm rüberkommen werden oder wie Sendungen zusammgeschnitten werden, damit auch ja der falsche Eindruck entsteht. So wird ein Wasserfleck auf einer Hose zum "hat sich in die Hose gemacht". Der Durchschnittsbürger tappt in die "Komm ich jetzt im Fernsehen?"-Falle. Genau das ist es: Ihm wird eine Falle gestellt, auf die er reinfällt.
Da haben wir schon den ersten Unterschied zu "IBES": Die Menschen, die sich auf dieses Format einlassen, haben mehr oder weniger stark ausgeprägte Medienerfahrung und wissen (oder sollten es zumindest wissen), worauf sie sich da einlassen.


Die Castingshows bei RTL dramatisieren sich selbst immer hoch und gerade in den Finale-Sendungen wird das auf die Spitze getrieben. Der Moderator betont mit einer unheimlichen Penetranz, dass nur der Sieger den ganzen Ruhm ernten wird, während selbst ein verdienter zweiter Platz dazu führt, dass man Schande über sich, seine Kinder und seine Kindeskinder und deren Kindeskinder bringt. Die Sieger werden dann gerne in anderen RTL-Sendungen rumgereicht und konsequent als "Stars" bezeichnet, auch wenn sie spätestens zu Beginn der neuen Staffel im Orkus verschwunden sind.
Auch hier bricht "IBES" mit einer Gesetzmäßigkeit des RTL-Kosmos. Die Sendung nimmt sich selbst nicht so wichtig, auch wenn die teilnehmenden Stars hoffen, durch ihre Teilnahme in der Öffentlichkeit wieder wahrgenommen zu werden. In geradezu entlarvender Offenheit machen die Moderatoren Dirk Bach und Sonja Zietlow sogar bissige, bisweilen sarkastische Witze über diese Erwartungshaltungs ihrer Camp-Promis. Überhaupt, die Worte "Promi" / "Prominenter" oder "Star" werden auch nur mit einem sarkastischen Unterton verwendet und unverhohlen wird darüber gewitzelt, dass die Camper hauptsächlich aus Geldnot teilnehmen (sie erhalten für ihre Teilnahme natürlich eine Gage; diese Gage ist größer, wenn ein Promi das Camp nicht freiwillig verlässt, sondern bleibt, bis er von den Zuschauern rausgewählt wird oder gewinnt).

Doch in einigen Punkten muss sich auch "IBES" den Gesetzmäßigkeiten des RTL-Kosmos fügen, so wie ein Ziegelstein, der aus dem Eifelturm geworfen wird, den Gesetzen der Schwerkraft folgen muss, nach unten fällt und einen Franzosen trifft, was in einem langwierigen Prozess um Schmerzensgeld endet. Eine Gesetzmäßigkeit ist die "flankierende Berichterstattung". Die aktuellen Ereignisse werden in den RTL-Nachrichtensendungen gezeigt und kommentiert. Aus im Grunde nichts entstehen Nachrichten.
Die Häme, mit der über Durchschnittsmenschen in anderen Sendungen hergezogen wird, schlägt hier besonders hart zu. Es sind - wie schon gesagt - Menschen mit Medienerfahrung, da ist der Ton schon etwas rauer. Die "Dschungelprüfungen", bei denen diese Menschen an ihre Grenzen geführt werden, sind da nur ein Beispiel. Hier wird der Darstellungsdruck der Promis besonders groß. Oder aus welchem anderen Grund sollte eine 19jährige junge Frau ihren Kopf in eine Glaskugel stecken, in der ihr dann hunderte von lebenden Kakerlaken übergeschüttet werden?
Und auch das angeblich Authentische, das wir aus Sendungen wie "Big Brother" kennen, kommt vor: Die Promis sind unter 24-Stunden-Dauerbeobachtung. Alles, was sie tun, wird gefilmt. Jedes Gespräch wird belauscht. Sogar die Selbstgespräche. Und dann kommt wieder die Bearbeitung ins Spiel. In dem oben verlinkten Artikel über das "Leben danach" wird davon gesprochen, dass die Promis oft ein falsches Bild von sich selbst haben, wie sie auf das Fernsehpublikum wirken, respektive, wie der Schnitt sie wirken lässt. Man erinnere sich nur an die als "Hacke-Beil" bezeichnete Carolin Beil, die als Lästertante im Camp herhalten musste.


Doch gerade bei den "Big Brother"-Szenen passiert etwas, das RTL sonst nicht so häufig macht: Die Demaskierung. Während in anderen Sendungen Promis weiterhin ihre Rolle spielen dürfen, sehen wir sie hier im wahrsten Sinne des Wortes ungeschminkt. Und wir stellen fest: Sie haben die gleichen Probleme wie jedermann. Ja, es sind auch Menschen. Kann man "IBES" deswegen als Lehrstück nehmen, um gerade jungen Menschen die Illusion vom sorgenfreien Promileben zu nehmen? Nein. Denn kaum sind sie aus dem Camp wieder draußen, sieht man sie wieder in ihrer Rolle - und nichts anderes. Es kann sein, dass sich die Rolle etwas geändert hat, aber es bleibt eine Maske. Die kurzen Zeiträume vom Dschungelcamp werden nur allzu leicht vergessen.


Während die 2102er Staffel lief, geschah in der "wirklichen Welt" etwas Unglaubliches, dessen Gravitationswellen bis in den RTL-Kosmos schlugen. Oder sagen wir: Natürlich in den RTL-Kosmos schlugen. Was aber war geschehen? Heidi "Germany's Next Top Model" Klum und ihr Gatte Seal Henry Olusegun Olumide Adeola Samuel, genannt "Seal", hatten ihre Trennung verkündet. Natürlich war das eine Nachricht für "Punkt 12" und die bange Frage wurde gestellt: "War ihre Ehe am Ende gar nicht so mustergütig?" Da schien es wieder durch, dieser Reflex, Menschen aufgrund ihres Bekanntheitsstatus auf einen Thron zu heben. Die Ehe vom Promis hat mustergütig zu sein, was wohlwollend von den Boulevardmagazinen begleitet wird. Jedes (auch vermeintliche) Fehlverhalten wird gnadenlos an den Pranger gestellt. Bei "IBES" erfahren wir dann, dass auch diese Menschen, wenn sie die Notdurft überkommt, mal in den Dschungel pinkeln.

Allerdings kommen wir auch schlagartig und hart mitten im RTL-Universum an: die Dschungelprüfungen. Da die Camper medienerfahren sind, kann man sie in dem Moment, wenn sie wissen, dass die Kameras auf sie gerichtet sind, nicht so vorführen wie den Durchschnittsbürger. Dazu können sie viel zu gut ihre öffentliche Rolle spielen. Also, was kann man tun? Sie gewissen Extremsituationen aussetzen, sei es, indem sie mit Viechzeugs kuscheln müssen, Viechzeugs essen müssen oder mit allerlei Schleimzeugs beworfen werden. Wer einen Truthahn-Anus vor sich auf dem Teller liegen hat, dem wird es schwerfallen, weiter seine Rolle zu spielen. Die Dschungelprüfungen sind auch der Teil, über den man sich so herrlich aufregen kann, sei es nun echt von Seiten der Kritiker, oder auch aufgebauscht im Rahmen der Berichterstattung der Boulevardpresse. Die Boulevardpresse nimmt solche Kleinigkeiten dankbar auf, ekelt sich auch mal stellvertretend für den Leser und heizt damit natürlich erst recht die Neugier des Lesers an.
Und was natürlich auch fester Bestandteil des RTL-Universums ist: das Skript! Insofern ist das Dschungelcamp tatsächlich ein interessantes Experiment, nämlich weil man mit etwas Aufmerksamkeit mitkriegt, welche Rollen die Produzenten den einzelnen Kandidaten zugedacht haben - und was die Kandidaten denken, welche Rolle sie spielen. Ja, tatsächlich ist "IBES" gecastet, wie man die Darsteller einer Seifenoper castet, es gibt nur einen kleinen Unterschied: es gibt kein Dialogbuch. Die Dialoge werden improvisiert, durch den Zusammenschnitt und Sonjas und Dirks Texte aber in den entsprechenden Kontext gebracht. Und es sieht so aus, als könnte man der Inszenierung nicht entkommen, denn egal, was die Camper beim Einzug noch für eine große Rolle spielen wollten, im Lauf der Zeit fällt die Maske. Dass der Sender beim Zuweisen der Charaktere sehr oft richtig liegt, hat einen Grund: Von den Kandidaten wird vor der Sendung ein psychologisches Gutachten angefertigt. Die Produzenten wissen also sehr genau, auf welchen Schlüsselreiz bei welchem Camper welche Reaktion erfolgt.

Was ist nun mein Resümee? Nun, so ganz kann ich die vielfach gezeigte Begeisterung nicht teilen. Wer meine Artikel gelesen hat, wird feststellen, dass mir irgendwann die Puste ausgegangen ist, noch etwas lustiges oder sarkastisches über das Dschungelcamp zu schreiben. Insofern sind die Schreiber von "Ich bin ein Star - holt mich hier raus" fast zu bewundern, wie sie den Level des Sarkasmus von Sendung zu Sendung beibehalten. Und es ist einiges richtig Witziges dabei. Das ist der positive Punkt: Es wird vor nichts Halt gemacht, nicht vor den Promis, nicht vor anderen Promis, nicht vor dem Bundespräsidenten, nicht einmal vor RTL.
Allerdings darf man sich auch nicht täuschen. Begriffe, die die Sendung als sowas wie ein "soziopsychologisches Experiment" beschreiben, verschaffen "IBES" eine Seriosität, die nicht vorhanden ist. Wenn wir "Experiment" sagen, klingt das irgendwie wissenschaftlich, und das ist es nicht. Mal ganz davon abgesehen, dass für diese Grundzüge vermutlich eine Staffel gereicht hätte. Das Prinzip der Maskierung mit anschließender Demaskierung ist immer das Gleiche. Es dauert nur unterschiedlich lang und ist unterschiedlich ausgeprägt. Außerdem hat niemand der Beteiligten im Sinn, irgendetwas zu erforschen, Thesen zu beweisen oder zu widerlegen. Letztlich geht es nur um eins: Geld. Sonja und Dirk und ihre Schreiber im Hintergrund machen einen Job wie jeder andere auch, für den sie bezahlt werden. Die Kandidaten machen mit, weil sie Geld dafür kriegen (auch wenn die meisten nicht müde werden, von den Herausforderungen zu sprechen, die sie annehmen wollen). Und der Sender sendet das Format, weil man damit Geld verdienenen kann. Und damit ist der Zirkelschluss geschehen und wir sind wieder fest im RTL-Mikrokosmos. Denn alles, was man dort sieht, wird aus diesem Grund produziert. RTL hat keinen Bildungsauftrag, keinen Informationsauftrag, nicht einmal die Verpflichtung, einen gewissen Qualitätsstandard einzuhalten. Und da gilt nun mal das Minimalprinzip: Mit möglichst wenig Einsatz den größtmöglichen Gewinn erzielen. Da unterscheidet sich "IBES" zwar vom Rest, der auf billige Schauplätze und Laienschauspieler zurückgreift, indem es einen gewissen Aufwand betreibt, aber letztlich wird man genauso geködert, wie mit dem Rest des Programms.
Insofern ist das sogar ein doppelter Gewinn, denn während die "Scripted Reality"-Shows im Stile von "Mitten im Leben" nur eine bestimmte Zielgruppe ansprechen, geht das Dschungelcamp in mehrere Richtungen: von den üblichen Verdächtigen über jene, die es so schlecht finden, dass es schon wieder gut ist, bis zu den Berufsempörten, die einen Grund für ihre Empörung haben wollen. 

Und damit komme ich zu meinem Zirkelschluss. Am Anfang des Selbstversuchs mit dem Dschungelcamp 2012 stand ein Zitat aus "Der Freitag", dem ich auf den Grund gehen wollte:

Das Format illustriert nicht die Abartigkeit einer moralisch entgrenzten Fernsehkultur, sondern ist eine Weiterentwicklung, die in den bestehenden Verhältnissen eines privatwirtschaftlich organisierten Fernsehens konsequent ist.

Wenn ich mir den Satz jetzt anschaue, ist er gar nicht mehr so positiv, wie ich damals dachte. Im Gegenteil, er beschreibt ja nur, dass das Dschungelcamp eine Weiterentwicklung ist. Entwickeln kann man sich in verschiedene Richtungen. Und so sehr ich es befürworte, dass man (echte oder vermeintliche) Prominente nicht zu sehr auf einen Sockel hebt (vor allem, wenn sie eigentlich nichts wirkliches geleistet haben), beziehungsweise sie von dort möglichst schnell wieder runterholt, so sehr ist dieses Format nicht meins. Dafür ist es einfach zu sehr RTL-Mikrokosmos.


Ich habe diesen Ausflug in diese parallele Realität gemacht, um ein paar Erlebnisse für das Blog "Erlebnis Australien" aufzuschreiben. Ich werde es dabei belassen, was das Dschungelcamp betrifft. Es gefällt mir nicht.


Zeit, sich wieder anderen Dingen zuzuwenden.


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