Sonntag, 30. Oktober 2011

Die Abenteuer von Tim und Struppi: Mein eigener Film mit Tim

Nun, immerhin hat mein Artikel von gestern etwas eMail-Reaktionen verursacht und ein guter Freund fragte mich, wie denn ein solcher Tim-Film ausgesehen hätte, wenn ich das Drehbuch geschrieben hätte.

Ich hätte vermutlich auch eine Trilogie geschrieben, allerdings wären die Filme inhaltlich nicht miteinander verbunden gewesen. Film 1 hätte zudem möglicherweise einen eigenen Titel gehabt, der nicht der Comic-Reihe entnommen worden wäre.

Für den ersten Film hätte ich nämlich das Doppelband-Abenteuer "Die Zigarren des Pharao" / "Der blaue Lotus" als Vorlage genommen, und zudem - wie jetzt auch geschehen - Elemente aus "Die Krabbe mit den goldenen Scheren" einfließen lassen. Die Verbindung wäre einfacher gewesen, da es in allen drei Alben um Drogenschmuggel geht. Außerdem lässt sich der erste "richtige" Auftritt der Schultzes ("Die Zigarren des Pharao") mit dem ersten Auftritt von Haddock ("Die Krabbe mit den goldenen Scheren") verbinden. Möglicherweise hätte man die Krabbe mit den goldenen Scheren auch als Zentralmotiv nehmen können, nur dass der Schurke am Ende nicht Omar Ben Salaad, sondern eben Rastapopoulos gewesen wäre.

Als Film 2 hätte ich das Doppelband-Abenteuer "Das Geheimnis der Einhorn" / "Der Schatz Rackhams des Roten" genommen, womit Bienlein eingeführt worden wäre. Das hätte dann zu Film 3 geführt, dem Doppelband "Reiseziel Mond" / "Schritte auf dem Mond".

Meine Trilogie hätte also so ausgesehen:

Film 1: "Die Krabbe mit den goldenen Scheren" (oder alternativer Titel)
Film 2: "Das Geheimnis der 'Einhorn'"
Film 3: "Reiseziel Mond"

Und vermutlich wären meine Drehbücher viiiiiel zu lang gewesen.

Samstag, 29. Oktober 2011

Die Abenteuer von Tim und Struppi: Das Geheimnis der Filmreihe - Mein Blick in die Glaskugel

Liebe Leserin, lieber Leser,

zu Beginn gleich eine Warnung: Was Sie hier lesen, sind wilde Spekulationen meinerseits über den Fortgang der neuen Tim-und-Struppi-Filmreihe, die diese Tage mit "Das Geheimnis der 'Einhorn'" ihren Anfang genommen hat. Deswegen enthält der Artikel mögliche Spoiler. Sollte die Reihe fortgesetzt werden - was ich hoffe -, denke ich, dass das auf diese Weise geschehen wird...

Kinoplakat © 2011 Sony Pictures Releasing GmbH
Gestern schon habe ich einen Blick auf den Film "Das Geheimnis der 'Einhorn'" geworfen. Und als Autor frage ich mich natürlich, was die Verfasser des Filmdrehbuchs, Steven Moffat, Edgar Wright und Joe Cornish, sich beim Schreiben gedacht haben. Und ich habe versucht, diese Gedanken zu antizipieren und einen möglichen Fortgang der Reihe zu spekulieren.

Welche Fakten habe ich als Ausgang für meine Spekulationen? Es gibt die Ansage von Seiten Steven Spielberg und Peter Jackson, dass die Tim-und-Struppi-Filme als Trilogie angelegt sind. Hergé hat aber nie eine Trilogie gemacht, die längeren Geschichten ziehen sich über maximal zwei Bände hin. Doch erscheint es mir unlogisch, eine Trilogie machen zu wollen, wenn die Filme nicht inhaltlich zusammenhängen. Würde man beispielsweise Film 1 und 2 nach den Bänden "Das Geheimnis der 'Einhorn'" und "Der Schatz Rackhams des Roten" machen und Film 3 nach irgendeinem anderen Comic, würde Film 3 deplatziert und wie ein Anhängsel wirken. Nein, ich möchte wetten, dass gerade Steve Moffat, dessen Fernsehserie "Sherlock" ich genial finde, sehr darauf geachtet hat, dass die Handlung über drei Filme läuft.

Nun verhält es sich mit Film 1 so - ACHTUNG! Spoiler! -, dass das Ende von der Geschichte aus "Der Schatz Rackhams des Roten" schon vorweg genommen wurde. Am Ende des Films finden Tim und Haddock den Schatz in dem Globus im Keller von Schloss Mühlenhof. Aber die Autoren erlauben sich einen Kunstgriff: Zwar ist die Geschichte damit abgeschlossen, aber Tim findet in dem Globus ein weiteres Pergament. Das, was in dem Globus versteckt war, ist nur ein kleiner Teil des Schatzes - das Pergament verspricht die Aussicht auf die ganze Fracht der "Einhorn".

Und nun willkommen in meiner wunderbaren Welt der Spekulation: Schon in meinem gestrigen Artikel schrieb ich, dass ich annehme, dass Film 2 eine Mischung aus "Der Schatz Rackhams des Roten" und "Der geheimnisvolle Stern" ist. Wie komme ich darauf? In der Vorlage vom "Schatz" gibt es keinen wirklichen Bösewicht. Zwar sprechen Schultze und Schulze davon, dass Maximus Vogel-Faull (der Bösewicht aus der "Einhorn") ausgebrochen sei und versuchen würde, irgendwie an Bord des Schiffes der Schatzsucherexpedition zu kommen, aber er kommt nicht vor. "Der geheimnisvolle Stern" wiederum berichtet von einer Wettfahrt zweier Expeditionen um einen großen Schatz - in diesem Fall einen Meteoriten. Die Geschichten lassen sich wunderbar miteinander verbinden, vor allem, da es so einfacher wird, Balduin Bienlein über die "Europäische Forschungsgesellschaft" in die Handlung einzuführen.
Sakharin könnte dann ebenfalls aus dem Gefängnis fliehen und mit seinem Handlanger Allan die "Gegenexpedition" starten, um Tim und Haddock den Schatz abzujagen. Möglicherweise tritt aber doch noch ein ganz anderer Gegenspieler auf, denn als Tim-Fan wartet man natürlich auf das Erscheinen von Roberto Rastapopoulos.

Okay, dann würde Film 2 also damit enden, dass Tim und Haddock die geheime Fracht der "Einhorn" entdecken. Ende gut, alles gut, so heißt es dann auch am Ende des Comics "Der Schatz Rackhams des Roten". Oder?

Hm.

Ich spekuliere, dass Film 3 den Titel "Der Sonnentempel" tragen wird. Wie kommt aber die Verbindung zu Film 1 und 2 zustande?
Möglicherweise wird es schon im Verlauf von Film 2 passieren, dass immer mehr der Forscher, die an der Expedition zum Wrack der Einhorn teilnehmen, plötzlich in tiefen Schlaf fallen, aus dem sie nur einmal am Tag erwachen und dabei furchtbare Qualen erleiden. Was mag das nur sein? Der Fluch der Schätze der "Einhorn"?
Zudem könnte es sein, dass Bienlein in seiner Art sich ein Stück aus dem Schatz nimmt, einen goldenen Armreif, und sich diesen anlegt. Darauf wird er entführt. Die Spur der Entführer führt nach Südamerika - zum Sonnentempel. Die Verfolgung der Entführer ist der Inhalt von Film 3.

Wie komme ich darauf? Gestern noch habe ich mich in meinem Artikel darüber gewundert, dass in einem Trailer die Rede davon ist, dass es in "Das Geheimnis der 'Einhorn'" um einen Schatz geht, der die Weltgeschichte verändert hätte, wenn das Schiff nicht gesunken wäre. Im Film wird darauf nämlich gar nicht eingegangen. Ich spekuliere, dass der Schatz, der sich an Bord der Einhorn befand, Gold von den spanischen Conquistadores sein soll. Im Film heißt es, die "Einhorn" sei nach Südamerika unterwegs gewesen und vor Santo Domingo gesunken. Möglicherweise hatte der Kapitän Franz von Hadoque eine besonders heikle Aufgabe, nämlich das von den Conquistadores gestohlene Gold den Inkas zurück zu bringen. Auf dem Weg dorthin ging das Schiff verloren, die Rückgabe fand nie statt - und damit auch nie eine Art "Aussöhnung" zwischen den Inka und den Kolonialherren. Die Geschichte spielte sich so ab, wie wir sie kennen, mit allem Blutvergießen. Der Schatz hätte zu einer Art Frieden führen können, bei der Kolonisten und Eingeborene in Koexistenz hätten leben können (Anmerkung: Ich weiß, dass es nicht so einfach gewesen wäre, aber sowas kann ich mir für einen Film gut vorstellen).

Nun haben die Inkas Wind davon bekommen, dass ihr Schatz kurz vor der Wiederentdeckung steht. Wie in "Die sieben Kristallkugeln" setzen sie also die Wissenschaftler, die an der Suche beteiligt sind, außer Gefecht. Als Bienlein einen Armreif aus dem Schatz anlegt, den sie als heilig betrachten, begeht er ein Sakrileg und soll im Sonnentempel geopfert werden. Das Ende von Film 3 wäre demnach die Rückgabe des Schatzes an die Inkas im Sonnentempel.

Eine interessante Geschichte, wie ich finde, noch dazu, da sie von mir stammt. :-) Gut, nun bleibt abzuwarten, ob Tim es endlich schafft, auch in den USA wirklich anzukommen, wo der Film erst im Dezember startet. Denn letztlich bestimmen die Besucherzahlen, ob es zu einer Fortsetzung kommt oder nicht.

Übrigens: Durch die Verdrehung der Schatzhandlung wird leider der Titel "Der Schatz Rackhams des Roten" ad absurdum geführt, falls er für Film 2 Verwendung findet. Im Comic ist es klar, es geht um einen Schatz, den Rackham der Rote an Bord der "Einhorn" bringt. Im Film befindet sich der Schatz bereits an Bord der "Einhorn" und Rackham möchte ihn nur an sich bringen. Ich bin gespannt, ob und wenn ja wie dieser Widerspruch aufgelöst wird.

Und nun: Es darf spekuliert werden, liebe Leserin, lieber Leser! Was haltet Ihr von meiner Idee? Oder habt Ihr ganz andere Gedanken? Nutzt die Kommentarspalte unten und schreibt auf, was Euch durch den Kopf geht!


Freitag, 28. Oktober 2011

Die Abenteuer von Tim und Struppi: Das Geheimnis der "Einhorn" - Der Kinofilm [Rezension]

Kinoplakat © 2011 Sony Pictures Releasing GmbH
Lange mussten die Fans von "Tim und Struppi" warten, doch 2011 ist es endlich soweit: Es gibt ein neues Abenteuer. Beziehungsweise, das Abenteuer kennen die Fans ja eigentlich schon, aber das Autorenteam Steven Moffat, Edgar Wright und Joe Cornish versucht, den bekannten Abenteuern neue Seiten abzugewinnen.

Inhalt: Der belgische Reporter Tim entdeckt beim Besuch eines Flohmarktes ein altes Modellschiff, das ihn fasziniert. Es ist die "Einhorn". Kaum hat er es gekauft, als zwei Herren auf ihn einstürmen und ihm das Modell um jeden Preis wieder abkaufen wollen. Doch Tim will nicht verkaufen. Er stellt Recherchen in einer Bibliothek an und findet heraus, dass die "Einhorn" unter ihrem Kapitän Franz von Hadoque gesunken ist. Sie soll eine geheime Fracht mit sich geführt haben. Als er in seine Wohnung zurückkehrt, wurde das Modell gestohlen. Nach einem zweiten Einbruch findet Tim ein Pergament mit einem Rätselvers und kurz darauf wird einer der Männer vom Flohmarkt vor seiner Haustür niedergeschossen. Nachdem Schulze und Schultze sich des Falles annehmen wird der Reporter entführt und an Bord eines Schiffes gebracht. Hier offenbart sich der Drahtzieher hinter den Ereignissen und es kommt zu einer wahrlich "historischen" Begegnung...

Besetzung (in Klammern die deutschen Synchronsprecher):
Tim: Jamie Bell (Nicolas Artajo)
Kapitän Haddock: Andy Serkis (Lutz Schnell)
Iwan Iwanowitsch Sakharin: Daniel Craig (Dietmar Wunder)
Schultze: Simon Pegg (Alexander Doering)
Schulze: Nick Frost (Uwe Büschken)
Aristide Klemm-Halbseid: Toby Jones (Hasso Zorn)
Tom: Mackenzie Crook (Peter Lontzek)
Allan: Daniel Mays (Dennis Schmidt-Foß)
Omar Ben Salaad: Gad Elmaleh (Tayfun Bademsoy)
Barnaby: Joe Starr (Eberhard Haar)

Kritik: Hu. Hm. Ja. Natürlich ist es immer etwas problematisch, einen solchen Film zu machen. Auf der einen Seite gilt es, einer bekannten Geschichte etwas Neues abzugewinnen, um jene Zuschauer zu begeistern, die mit Tim noch nicht vertraut sind. Auf der anderen Seite darf man natürlich nicht zu viel verändern, um die Fans nicht zu verärgern. Was das betrifft, erreicht der Film ein gewisses Maß an Ausgeglichenheit. Trotzdem hinterlässt er ein merkwürdiges Gefühl.

Sehr gut umgesetzt ist die Welt von Tim. Man hat sich dazu entschlossen, die Geschichte nicht in die Gegenwart zu versetzen, sondern sie von der Ausstattung und Optik her irgendwo in die 1950er zu stecken, also zu dem Zeitpunkt, als Tims Schöpfer Hergé auf dem Höhepunkt seines Schaffens war. Vermutlich würden sonst auch Tims Knickerbocker nicht so ganz ins Bild passen. Die Umgebung, die Fahrzeuge, alles entstammt dieser Ära und Tim geht für seine Recherche natürlich nicht ins Internet, sondern in die Bibliothek. Gleich zum Anfang des Films gibt es einen besonderen Moment: Tim, dessen Gesicht der Zuschauer zu dem Zeitpunkt noch nicht gesehen hat, besucht einen Flohmarkt und lässt dort eine Porträtzeichnung von sich anfertigen. Der Mann, der Tim zeichnet, ist kein geringerer als der "Meister" selbst, George Prosper Remi alias "Hergé". Das Bild, das er anfertigt, sieht dann auch genauso aus wie in den Originalcomics. Und an einer Wand sind Zeichnungen von weiteren Figuren aus den Comics ausgestellt, unter anderem von den Brüdern Vogel-Faull - aber dazu gleich mehr.
In Tims Büro hängen Zeitungsausschnitte, die sich auf weitere Abenteuer des Reporters beziehen und dessen vergangene Heldentaten ein wenig beleuchten. Und im Palast von Omar Ben Salaad steht ein Brunnen, dessen zentrale Figur eine Krabbe mit goldenen Scheren ist. Warum dieses Detail besonders ist? Da stecken wir schon mitten in der Betrachtung der Handlung des Films.

Die Geschichte wurde zusammengesetzt aus mehreren Alben. Hauptthema ist natürlich die Geschichte des Comics, der dem Film auch seinen Namen gab: "Das Geheimnis der 'Einhorn'". Außerdem wurden Teile von "Der Schatz Rackhams des Roten" verwendet (der Band, der die Geschichte um die "Einhorn" fortführt) und ein großer Handlungsstrang aus "Die Krabbe mit den goldenen Scheren" verwendet. Die Hauptgeschichte wurde aus dem Doppelband um die "Einhorn" und Rackhams Schatz direkt übernommen. Aber in der "Krabbe" geht es um eine Opiumschmugglerbande, auf deren Spur Tim durch Zufall kommt. Man verwendete Teile aus diesem Album, weil es hier zu der "historischen" ersten Begegnung zwischen Tim und Kapitän Haddock kommt. Verwoben hat man die Handlungen auf einigermaßen raffinierte Weise: Der ganze Anfang des Films mit den Modellschiffen der "Einhorn" und den Einbrüchen stammt aus "Geheimnis der 'Einhorn'". Doch als Tim entführt wird, wird er nicht nach Schloß Mühlenhof gebracht (wie im "Geheimnis"), sondern an Bord des Schiffes Karaboudjan - und schon sind wir im Handlungsteil von der "Krabbe mit den goldenen Scheren". Der oben erwähnte Brunnen im Palast von Omar Ben Salaad ist eine Reminiszens an den Titel dieses Albums.

Denn natürlich wurden auch einige Änderungen vorgenommen, zum Teil sehr drastisch, zum Teil weniger drastisch. Omar Ben Salaad ist beispielsweise der "Bösewicht" in der "Krabbe", der Drahtzieher hinter dem Opiumschmuggel. Da dieser ganze Plot fallengelassen wurde, ist er nur noch ein Nebendarsteller, ein Kunstsammler, der eines der Modelle der "Einhorn" besitzt.
Überhaupt zum Thema "Bösewicht": Die Schurken aus dem Comic "Das Geheimnis der 'Einhorn'" sind die Brüder Vogel-Faull, Antiquitätensammler, die Zufällig auf die Hinweise auf Rackhams Schatz gestoßen sind und danach mit allen Mitteln suchen. Sie sind nicht in den Film übernommen worden, der Drahtzieher der Ereignisse ist stattdessen Iwan Iwanowitsch Sakharin (eine "saure Gurke mit zuckersüßem Namen", wie Haddock sagt). Sakharin ist im Comic wiederum nur eine Nebenfigur, ein Kunstsammler, der eines der Modellschiffe besitzt und Tim das zweite abkaufen möchte. Und im Film ist er ein Nachfahre von Rackham dem Roten. In "Der Schatz Rackhams des Roten" werden Tim und Haddock gleich von mehreren solcher angeblichen Nachfahren belagert, die alle ihren Anteil an dem Schatz fordern. Und wo wir schon von dem Schatz reden: Im Comic handelte es sich um eine kleine Kiste mit Gold und Juwelen, die Rackham selbst an Bord der "Einhorn" bringt, im Film hat die "Einhorn" eine geheime Fracht, die aus mehreren Zentnern Gold und Juwelen besteht.
Ebenfalls und im wahrsten Sinne des Wortes einen Auftritt im Film hat Bianca Castafiore, die "mailänder Nachtigall", obwohl sie weder in der Geschichte um die "Einhorn" noch in der "Krabbe" vorkommt. Ich bin mir leider nicht ganz sicher, aber ich glaube, sie darf tatsächlich die aus den Comics nur zu bekannte "Juwelenarie" aus Gounods Oper "Faust" vortragen ("Ha, welch Glück mich zu seh'n so schön").
Tatsächlich gibt es am Ende des Films auch eine Auflösung (anders als im Comic, wo die Geschichte erst am Ende vom zweiten Band abgeschlossen wird), allerdings wird auch ein Ausblick auf eine Fortsetzung gegeben.

Die Actionszenen des Films sind sehr rasant und teilweise ein bisschen zu viel. Sicher, es handelt sich hier um eine Comicverfilmung, aber so arg hat Hergé in seinen Alben nie aufgedreht. Beispielsweise widerspricht die dargestellte Seeschlacht zwischen der "Einhoren" und einem Piratenschiff jeglichen Gesetzen der Physik: Im Verlauf der Schlacht verhaken die Masten der beiden Schiffe miteinander, weil sie See so rau ist. Die krängende "Einhorn" richtet sich dann wieder auf und zieht das Piratenschiff dabei aus dem Wasser, so dass es über dem Deck der "Einhorn" hängt und schiffschaukelgleich hin und her schwingt.
Realistischer wiederum wurde die Sprengung der "Einhorn" dargestellt, da der Ritter Franz von Hadoque im Comic eine richtige Zündschnur legt, was sehr aufwändig gewesen wäre. Im Film streut er einfach eine Spur aus Schwarzpulver, die er anzündet. Das geht wesentlich schneller und funktioniert auch.
Der Höhepunkt, eine Verfolgungsjagd in den Straßen der Stadt Bagghar, ist allerdings mit Action sehr überfrachtet und erinnert - ob nun gewollt oder nicht - sehr stark an Indiana Jones. Da Spielberg aber noch eine andere Hommage an eines seiner Werke untergebracht hat, könnte dies durchaus Absicht sein. Das andere Werk ist übrigens "Der weiße Hai": Tim taucht in einer Szene an ein Wasserflugzeug heran. Dabei bleibt er mit dem Kopf so knapp unter der Wasseroberfläche, dass seine Tolle gleich einer Haifischflosse aus dem Wasser ragt.

Die deutsche Fassung wartet mit soliden Synchronsprechern auf. Tatsächlich war man bemüht, die Sprecher der Schauspieler zu verwenden, die das Original sprechen / darstellen, was vor allem an Dietmar Wunder für Daniel Craig auffällt. Leider ist dessen Stimme so markant, dass man schon weiß, wer Rackham der Rote sein soll, bevor jener das Tuch fallen lässt, das sein Gesicht bedeckt. Für Andy Serkis als Kapitän Haddock wurde Lutz Schnell genommen, weil dieser Serkis schon in anderen Filmen gesprochen hat (unter anderem "30 über Nacht"), und damit wurde für einen netten Insidergag gesorgt. Lutz Schnell sprach in den 1980er Jahren in den Tim-und-Struppi-Hörspielen von Maritim und in der deutschen Version der Zeichentrick-Serie den Tim (Ausschnitt vom Hörspiel hier, Zeichentrick hier, die Episode ist "Die Krabbe mit den goldenen Scheren").

In einem Punkt führte die Werktreue allerdings zu einem kleinen Fehler: das Wasserflugzeug, das Tim und Haddock angreift, wurde getreu aus "Die Krabbe mit den goldenen Scheren" übernommen. Tim stellt im Film fest, dass das Flugzeug eine "portugiesische Kennung" habe und fragt Haddock, unter welcher Flagge die Karaboudjan fährt - im Film wurde das Flugzeug von dem Schiff aus gestartet. Allerdings kann man sehr deutlich sehen, dass die Kennung des Flugzeugs - wie im Comic - mit "CN" anfängt, und das ist die Kennung von Marokko.
Außerdem ist mir nicht ganz klar, was in der Filmvorschau gesagt wurde, dass der Schatz an Bord der "Einhorn" den Lauf der Geschichte hätte ändern können, wenn das Schiff nicht gesunken wäre. Die Aussage wird in einem der Trailer getroffen, im Film selbst wird darauf aber nicht eingegangen. Dort ist der Schatz einfach nur ein "riesiger Schatz".

Der Film kommt natürlich in 3D, was ein netter Effekt ist, aber aus meiner Sicht nicht mehr. Das Problem, das ich hatte, ist, dass bei den Actionszenen zu viel auf der Leinwand los war. Ich musste mich durch ein Gewirr durchkämpfen um zu erkennen, wo gerade die "Hauptaction" stattfand. Und natürlich gab es die üblichen 3D-Standardszenen, in denen Gegenstände direkt aus der Leinwand herausragen und auf den Zuschauer zeigen. In einer Szene streckt Sakharin beispielsweise seinen Stock direkt in die Kamera. Offenbar muss das so sein bei 3D-Filmen.

Und jetzt - ist der Film empfehlenswert oder nicht? Hm. Nun. Ja, er ist empfehlenswert, denn er ist ein gutes Stück Kurzweil. Leider kommt nicht so ganz zum Tragen, was Tim für mich zum Held meiner Kindheit gemacht hat, dass er sich für die Schwachen und Wehrlosen einsetzt. Aber das ist zum Teil auch der Vorlage geschuldet, in der das auch nicht vorkommt. Um den Film genießen zu können, muss man bereit sein, die Vorlage hinter sich zu lassen und ein fast "neues" Tim-Abenteuer zu erleben. Dann verbringt man einen angenehmen Kinoabend. Wer Purist ist, was Tim und Struppi betrifft, der sollte sich von dem Film allerdings fernhalten. Vor allen Dingen das Verändern von Nebenfiguren zu Hauptfiguren dürfte solche Menschen arg stören.

Ich bin schon gespannt auf die Fortsetzung, von der ich hoffe, dass sie kommt. Wenn ich raten müsste, würde ich behaupten, man wird die Alben "Der Schatz Rackhams des Roten" (keine Überraschung) und "Der geheimnisvolle Stern" irgendwie miteinander verarbeiten. Na, mal sehen...


Und das sagen andere zu dem Film:


Während die Figuren in Hergés Comic trotz ihrer Zweidimensionalität für den Leser rasch menschliche Qualitäten anzunehmen scheinen und diesem – wie Spielberg sagt – „ans Herz wachsen“, bleibt es selbst dem gutwilligen Betrachter verwehrt, auch nur einen Hauch von Empathie für deren dreidimensionale Replikanten zu entwickeln. Je menschenähnlicher diese aussehen, umso grotesker wirken sie. 
Sascha Lenharts, "Welt Online"

Und auch Tim reift dank der Darstellung durch einen echten Menschen (Jamie Bell). Der rasende Reporter ist hier näher dran am nachdenklichen Tim der späten Hergé-Werke aus den Jahren nach 1945 als am naiven etwas bedenkenlosen journalistischen Streber der frühen Bände.
Matthias Heine, "Welt Online"

Doch wenn der Meistererzähler Spielberg dem Meistererzähler Hergé die Pointen wegstreicht, bleibt von beider Meisterschaft wenig übrig. Nur einer von ihnen ist daran schuldlos.
Andreas Platthaus, "Frankfurter Allgemeine"

Sein Werk riecht ver- bzw. zerkonstruiert. Vor allem in den erzählenden Momenten, Motiven. Da hakt das Interesse, die spannende Anteilnahme beträchtlich. Weil auch ziemlich humorfrei. Ohne zündende Ironie. Faktisch sachlich. Während die optische, die visuelle Performance in den gigantischen Verfolgungsszenen brillant ist. Faszinierend.
Hans-Ulrich Pönack, "Deutschlandradio Kultur"

Donnerstag, 27. Oktober 2011

Die Abenteuer von Tim und Struppi: Das Geheimnis der Einhorn - Kinostart heute

Heute ist es also soweit: Der computeranimierte Film der Abenteuer von Tim und Struppi kommt in die Kinos. Wer meine Artikelreihe bisher verfolgt hat, wird ahnen, dass ich auf das Resultat schon sehr gespannt bin und meinen Eindruck natürlich hier kundtun werde. Bis dahin erstmal die Vorschau:



Etwas mehr über den Film verrät diese Vorschau:



Ehrlich gesagt sehe ich da ein paar Dinge, die in mir ein leichtes Unbehagen auslösen. Aber ich will nichts vorweg nehmen. Ich sehe mir den Film an und berichte dann darüber.

Mittwoch, 26. Oktober 2011

"Auf den Spuren von Tim und Struppi" von Michael Farr [Rezension]



Im Verlauf des letzten Monats habe ich die Alben der Comic-Reihe "Tim und Struppi" vorgestellte und meine Eindrücke von den einzelnen Geschichten dargelegt. Auch habe ich dabei ein wenig der Hintergründe beleuchtet, die zum Entstehen der einzelnen Bände geführt haben. Wer jedoch noch mehr über Hergé, Tim, Struppi, Haddock, Bienlein und so weiter erfahren möchte, dem sei das Buch "Auf den Spuren von Tim und Struppi" von Michael Farr empfohlen.

In seinem Buch geht Michael Farr der “Lebensgeschichte” des Comic-Helden nach. Dabei erfährt man nicht nur, welche Impulse Hergé zu den einzelnen Abenteuern inspirierten, sondern auch einige der nicht so angenehmen Seiten, die Verdächtigungen nach dem 2. Weltkrieg, er sei ein Kollaborateur gewesen oder seine Zusammenbrüche, weil der Stress zu viel wurde. Manches fällt einem erst auf, wenn ein Album in den entsprechenden Kontext gestellt wird, so zum Beispiel, dass “König Ottokars Zepter” in seiner Handlung die Invasion von Nazi-Deutschland in Polen vorwegnahm. Es wird dabei auch klar, warum Hergé schon früh dazu überging, solche kritischen Handlungen in imaginäre Länder zu verlegen: Syldavien und Bordurien (wie in “König Ottokars Zepter”), Sondonesien (wie in “Flug 714 nach Sidney”) oder San Theodorus (wie in “Der Arumbaya-Fetisch” und “Tim und die Picaros”).

Auch bekommt man einen Eindruck davon, wie Hergé selbst beim Erstellen der Geschichten dazulernte. Von einem Menschen, der im Belgien der Kolonialzeit aufgewachsen war, musste er entdecken, dass die Europäer dem Rest der Welt nicht so überlegen waren, wie sie immer dachten. Das führte beispielsweise dazu, dass er in “Der Blaue Lotos” eine pro-chinesische Haltung einnahmen, gegen die Japaner, die zu der Zeit (1934) eine Invasion der Mandschurei, einem Teil Chinas, durchführten. Während Europa, sofern es sich überhaupt für die Ereignisse so weit weg von zu Hause interessierte, eine Haltung Pro-Japan einnahm, führte Hergés Freundschaft zu dem Chinesen Tschang Tschong-Jen dazu, dass dieser einen anderen Blickwinkel bekam und Japans imperialistische Bestrebungen in seinem Comic aufdeckte. Tatsächlich protestierten japanische Diplomaten bei der belgischen Regierung in Brüssel gegen diese Darstellung, aber davon ließ sich der Autor nicht beeindrucken. Später gab er in einem Interview zu, bevor er Tschang Tschong-Jen kennengelernt hatte, sei China für ihn “von gesichtslosen Völkerschaften bewohnt”, das seien “schlitzäugige, grausame Leute” gewesen. Seine Vorurteile entsprachen dabei dem Bild, das Europa zu der Zeit von Asien hatte – und er war fähig, sie abzubauen und zu lernen, was eine Bereicherung seiner Arbeit darstellte.

Auch wie Hergé mit Krisen umging, wird berichtet, etwa als er in den 1950er Jahren so vom Stress übermannt wurde, dass er Alpträume von großen, weißen Flächen hatte und ihm ein Arzt schon riet, er solle das Comic-Zeichnen aufgeben. Er tat es nicht, sondern wandelte seine Alpträume in ein beeindruckendes Werk um: “Tim in Tibet”. So wird jedes Album gewürdigt, bis hin zur “Alpha-Kunst”, das leider unvollendet blieb und nur als Sammlung von Skizzen veröffentlicht wurde, da Hergé in seinem Testament verfügt hatte, dass nach seinem Tod niemand Tims Abenteuer fortführen sollte. Der Beliebtheit der Figur hat das keinen Abbruch getan, eher im Gegenteil, die Qualität blieb dadurch erhalten und wurde nicht von völlig anderen Vorstellungen eventueller “Nachfolger” verwässert. Schade ist es nur, denn der Tod des Zeichers lässt Tim in einer sehr prekären Situation zurück und wir erfahren nicht, ob und wie er dieser entkommt.

Wer also – so wie ich – die Tim-und-Struppi-Alben immer wieder gern zur Hand nimmt, dem sei dieses Buch empfohlen, es hilft einem, die Geschichten noch einmal mit völlig anderen Augen zu sehen.

Dienstag, 25. Oktober 2011

Tim und Struppi: Die Abenteuer von Hergé



Georges Prosper Remi, bekannt geworden unter dem Pseudonym "Hergé", ist der Erfinder und Autor von Tim und Struppi, ihren Gefährten und den Comic-Abenteuern. Und welche Form einer Kurzbiografie würde sich für ihn besser eignen als ein eigener Comic? Diesen Comic gibt es, er heißt "Die Abenteuer von Hergé".

Inhalt: In Episoden eingeteilt geht der Comic durch das Leben des Künstlers Hergé und zeigt dabei die vielen Quellen und Inspirationen auf, aus denen seine späteren Werke entstanden sind. Die aktuelle Auflage wurde 2007 aus Anlass des 100. Geburtstags von Hergé um zwei neue Episoden erweitert.

Kritik: Eines vorweg: Der für das Album verantwortliche Zeichner ist Stanislas, mit vollem Namen Stanislas Barthélemy, der sich durch die Comic-Reihe "Het Leven van Victor Vallei" ("Das Leben des Victor Vallei") einen Namen machte. Er hat zwar einen ähnlich minimalistischen Zeichenstil wie Hergé selbst, unterscheidet sich aber dennoch deutlich von diesem. Stanislas hat es vermieden, Hergé zu kopieren, und das war gut so. Durch den etwas anderen Stil wird dem Leser vermittelt, dass wir hier quasi hinter die Kulissen des Schöpfers von Tim und Struppi blicken. Den Autoren Bocquet (José-Louis Bocquet) und Fromental (Jean-Luc Fromental) ist es gelungen, in der Geschichte entscheidende und prägende Stationen im Leben von Hergé herauszuarbeiten und dabei sehr subtil die Inspirationen zu Figuren in den Tim-Geschichten einfließen zu lassen (beispielsweise wenn der Zwillingsbruder von Hergés Vater den Satz "Ich würde sogar sagen..." benutzt). An der Biografie ist nichts geschönt, Hergés Probleme nach dem Zweiten Weltkrieg, als er als Nazi-Kollaborateur angesehen wurde, kommen genau so zur Sprache wie die Krise seiner Ehe mit Germaine Kieckens und die anschließende Scheidung.

Bei manchen Passagen weiß man allerdings nicht ganz, wie weit die Autoren die Geschichte frei erzählen, etwa als Hergé sich mit seinem Freund Tschang Tschong-Jen unterhält, während offensichtlich japanische Schlägerbanden versuchen, die beiden zu überfallen, um Hergé wegen der Geschichte "Der blaue Lotus" mundtot zu machen.

Der Band wird mit einer Galerie beschlossen, in der die Menschen vorgestellt werden, die in Hergés Leben kleine und große Rollen spielten. Das ist sehr hilfreich, da das innerhalb des Comics selbst nur sehr knapp gehalten wird. Auch erfährt man, was aus den einzelnen Menschen wurde, nachdem sie aus Hergés Leben verschwanden, respektive nachdem Hergé gestorben war.

Das ganze Album ist von seiner Optik her wie die Tim-und-Struppi-Abenteuer gehalten, sogar die Bildergalerie auf den Innenseiten des Umschlags wurde nachgestaltet. Alle diese Einzelheiten machen das Album zu einer runden Sache, auch wenn natürlich keine durchgehende Geschichte erzählt werden kann (aber wessen Leben verläuft schon wie eine Geschichte?). Wer sich für den "Mann hinter Tim" interessiert, findet hier interessante und spannende Einsichten.

Montag, 24. Oktober 2011

Tim und Struppi: Tim und die Alpha-Kunst [Rezension]



Wiederum acht Jahre nach “Tim und die Picaros” machte sich Hergé daran, ein neues Abenteuer von Tim zu zeichnen, das den Eindruck macht, als sei es als krönender Abschluss einer langen Reihe geplant gewesen. Ob es so ist, werden wir nie erfahren; Hergé starb am 3. März 1983, bevor er es vollenden konnte.

Inhalt: Auf der Flucht vor der Castafiore gelangt Haddock zufällig in eine Kunstgalerie. Dort wird er von einem Kunstexperten angesprochen, der etwas mit Tim bereden möchte und einen Termin vereinbart. Zu dem Termin erscheint er jedoch nicht, er ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Nachdem er bereits der zweite Experte ist, der einen plötzlichen und merkwürdigen Tod gestorben ist, stellt Tim Nachforschungen an und kommt so dem Magier Endaddin Akass auf die Spur, der ihn frappant an irgendjemand erinnert. Die Spur führt ihn und Haddock nach Ischia, wo der Künstler Ramo Nash seine “Alpha-Kunst” entworfen hat.

Kritik: Eine Kritik dieses Albums ist nicht möglich. Von der gesamten Geschichte sind etwa 40 Seiten vorhanden, davon sind vier mit Bleistift in eine Form gebracht, dass man nach ihnen hätte die fertigen Albumseiten zeichnen können. Der Rest liegt lediglich im Form von (teilweise sehr groben) Skizzen vor, die nur Aufbau, Bildkomposition und die Handlung der Geschichte aufzeigen. Zudem bricht die Geschichte genau an einer der spannendsten Stellen ab. Nach den Notizen war Hergé sich selbst noch nicht mal sicher, wie er die Situation dort wieder lösen sollte; falls er doch schon eine Idee hatte, so hat er sie mit ins Grab genommen.

Nachdem Hergé verfügt hatte, dass niemand nach seinem Tod die Geschichte um Tim fortsetzen sollte (entgegen vieler anderer Serien aus dem franko-belgischen Raum, wie etwa “Spirou und Fantasio” oder “Percy Pickwick”), beschloss man, diesen Wunsch zu respektieren. Obwohl Bob de Moor, Hergés Assistent, das Album sicherlich gern fertiggestellt hätte, ließ man es, wie es war und veröffentlichte es so, zusammen mit ein paar Seiten Notizen mit Ideen. Aus diesen Notizen geht hervor, dass “Tim und die Alpha-Kunst” ein wahres Panoptikum an Tim-Figuren geworden wäre, neben der Castafiore, Luise und Igor Wagner, Herrn Kiesewetter, der Metzgerei Schnitzel, den Schul(t)zes und Emir Ben Kalisch Ezab waren noch Auftritte vorgesehen für Gibbons (aus “Der blaue Lotos”), Dawson (ebenfalls “Der blaue Lotos” und “Kohle an Bord”), Chicklet (aus “Der Arumbaya-Fetisch”), Madame Yamilah und ihr Mann (aus “Die sieben Kristallkugeln”), Iwan Sakharin und die Gebrüder Vogel-Faull (aus “Das Geheimnis der Einhorn”) sowie Carreidas und Mik Esdanitoff (aus “Flug 714 nach Sydney”). In einer anderen Notiz wird sogar Doktor Krollspell (“Flug 714 nach Sydney”) erwähnt, sowie die Länder Syldavien, Bordurien und Sondonesien in Spiel gebracht.

Tim trifft zudem zum ersten Mal auf eine Frau, die unter den sonstigen weiblichen Figuren hervorsticht. Aber ob Hergé es gewagt hätte, tatsächlich sowas wie Romantik einzubringen oder gar ein definitives “Happy-End” für seinen ewigen Junggesellen geplant hatte, lässt sich aus den Aufzeichnungen nicht schließen. Auch hier hat der Zeichner das Geheimnis mit ins Grab genommen.

“Tim und die Alpha-Kunst” ist definitiv nur etwas für absolute Tim-Fans oder für Comicfreunde, die sich für die Arbeitsweise von Hergé interessieren, die man an den Skizzen natürlich sehr schön nachvollziehen kann, von fast fertigen Szenen am Anfang bis zu groben Strichzeichnungen und angehäuften Ideen am Schluss.

Auf der einen Seite ist es schade, dass Hergé verfügte, niemand solle nach seinem Tod sein Werk weiterführen. Auf der anderen Seite aber auch wieder nicht, denn Tim von einem anderen Zeichner, das wäre nicht Tim gewesen. Der Popularität der Figur hat das keinen Abbruch getan. Von Tim wurde eine Zeichentrickserie produziert, es erschien Sekundärliteratur und nun gibt es einen neuen Film.

Um die Sekundärliteratur geht es in den nächsten Artikeln.

Sonntag, 23. Oktober 2011

Tim und Struppi: Tim und die blauen Orangen [Rezension]



Nach dem Erscheinen des ersten Realfilms dauerte es vier Jahre, bevor 1964 ein weiteres Abenteuer fürs Kino verwirklicht wurde: "Tim und die blauen Orangen".

Inhalt: Professor Bienlein startet über das Fernsehen einen dramatischen Aufruf - alle Wissenschaftler der Erde sollen mitarbeiten, den Hunger in der Welt zu bekämpfen. Daraufhin treffen Waschkörbe mit Briefen in Mühlenhof ein mit Ideen und Vorschlägen. Unter den ganzen Briefen ist ein Päckchen, dem kein Brief beigelegt ist. In dem Päckchen befindet sich eine Orange, die allerdings von blauer Farbe ist und im Dunkeln leuchtet. Der Absender ist ein gewisser Professor Zalamea aus Spanien. Tim, Struppi, Haddock und Bienlein fahren nach Spanien, um dem Geheimis der Orange auf die Spur zu kommen. In Spanien angekommen müssen sie feststellen, dass Professor Zalamea entführt wurde. Und es dauert nicht lange, da ist auch Bienlein verschwunden...

Kritik: In "Tim und das Geheimnis des Goldenen Vlieses" machte man zaghaft von Fremdsprachen Gebrauch, um den Lokalkolorit wiederzugeben. So wurden diese nicht übersetzt, sondern untertitelt. Das gleiche machte man bei "Tim und die blauen Orangen" ebenfalls, allerdings wesentlich mehr. Und auch die spanischen Landschaften sind wunderbar getroffen. Als optischer Gag wurden zudem Zeichnungen aus den Comics mit integriert: in Mühlenhof hängt das Gemälde von Haddocks Vorfahre Frantz von Hadoque, von Hergé gezeichnet, und auch das Plakat mit Bianca Castafiore zeigt eine Hergé-Zeichnung.
Was den Rest betrifft... hm.

Die Prämisse des Films ist erstmal einer Tim-Geschicht würdig und es ist sicherlich eines der vielen Themen, die Hergé auch am Herzen gelegen sind: Eindämmung des weltweiten Hungers. Dann jedoch gleitet die Geschichte sehr ins Klamaukhafte ab und wirkt humoristisch arg übers Knie gebrochen. Stellenweise verhalten sich Figuren auch völlig daneben. An einer Stelle beispielsweise sind Schultze und Schulze von den Bösewichten an einander gefesselt worden, und anstatt ihnen zu helfen lacht Kapitän Haddock sie aus. Sicher, Haddock hat so seine Probleme mit den beiden Schul(t)zes (als in "Schritte auf dem Mond" die Sprache auf den Zirkus Hagenbeck kommt, lässt er beispielsweise eine Bemerkung fallen, Hagenbeck suche zwei Clowns, da kämen die Schultzes wie gerufen), aber hier verhält er sich einfach nur widerwärtig. Interessanterweise hat René Goscinny, der Autor von "Asterix", an dem Drehbuch des Films mitgewirkt, was leider kein Ruhmesblatt für ihn ist. Ehrlich gesagt kann ich nirgendwo Goscinnys "Handschrift" erkennen, ihn zeichnete ein anderer Humor aus. Interessant auch, dass Goscinny an diesem Tim-Film mitarbeitete, obwohl Asterix zu dem Zeitpunkt bereits einen gewissen Berühnmtheitsgrad erlangt hatte, was Hergé einige Magenschmerzen bereitete.

Nervig ist des weiteren, dass man nicht mitbekommt, wer denn nun hinter der Entführung steckt. Der "große Boss" meldet sich nur über Lautsprecher und man sieht nur seine minderbemittelten Handlanger. Das einzige, was mich am Ende noch mit dem Film einigermaßen hätte versöhnen können, wäre ein Auftritt eines Roberto Rastapopoulos in real gewesen. Aber auch die Chance ging vorbei. Dafür hat Bianca Castafiore einen (relativ sinnlosen) Kurzauftritt, in der sie zusammen mit Haddock Margarete und Mephisto gibt, um die spanische Polizei zu verwirren.

Es tut mir leid, dass ich diesem Film keine bessere Bewertung geben kann. Er ist wirklich nur was für die "richtigen" Fans, die ihre Sammlung vervollständigen wollen (in Belgien nennt man sie "Tintinophile"), allen anderen kann ich nur abraten. Die Geschichte beginnt stark, lässt dann aber genauso stark nach.

Samstag, 22. Oktober 2011

Tim und Struppi: Tim und das Geheimnis um das Goldene Vlies [Rezension]



Noch bevor Tim und Struppi das erste Mal in ihrem eigentlichen Medium - den gezeichneten Bildern - verfilmt wurden, gab es verschiedene Anläufe in 1930er Jahren, die zum größten Teil verschollen sind. Auf die große Leinwand jedoch kam als erstes ein Film mit realen Schauspielern. 1961 wurde ein Abenteuer, von dem es kein Comic-Album gab, verfilmt. In den Hauptrollen sehen wir Jean-Pierre Talbot als Tim und Georges Wilson als Kapitän Haddock. Der Titel der Geschichte: "Tim und das Geheimis um das Goldene Vlies".

Inhalt: Kapitän Haddock bekommt eine Nachricht, dass Themistokles Paparanic, ein Schiffskapitän, verstorben ist und ihm sein Schiff, die "Goldenes Vlies", vermacht hat. Tim und Haddock reisen nach Istanbul, stellen jedoch fest, dass das Schiff kaum mehr als ein Seelenverkäufer ist. Ein Geschäftsmann mit Namen Anton Karabine macht Haddock ein Angebot, die "Goldenes Vlies" zu kaufen, und zwar zu einem Mehrfachen des Preises, den sie noch wert ist. Das macht Tim misstrauisch und er rät Haddock, nicht darauf einzugehen. Daraufhin passieren einige merkwürdige Dinge, Tim und Haddock werden fast von einem Fass überrollt und während einer Führung in einer Festung lauert ihnen eine Schlägerbande auf. Sie durchsuchen die Sachen von Kapitän Paparanic und finden heraus, dass jener in dem südamerikanischen Land Tétaragua die Gunst der Stunde genutzt hat, um einen Staatsstreich anzuzetteln. Als er mit ein paar Kumpels die Regierungsgewalt inne hatte, brachte er Tétaraguas Staatsschatz auf die Seite. Nach seinem Tod suchen seine ehemaligen Verbündeten nach Hinwesein auf das Versteck...

Kritik: Zuerst einmal zum Titel, den kann man nämlich nicht korrekt ins Deutsche übersetzen. Der Film heißt "Tim et le mystère de la Toison d'Or". Würde man den Satz einfach übersetzen, müsste er heißen "Tim und das Geheimnis des goldenen Vlieses". Da die "Toison d'Or" aber ein Schiff ist, müsste man den Titel so wiedergeben: "Tim und das Geheimnis der 'Goldenes Vlies'". Das klingt zu holprig, deswegen nahm man die Variante "Tim und das Geheimnis um das Goldene Vlies". Warum ich das schreibe? Als ich das erste mal von dem Film hörte, dachte ich, dass der Film so eine Art "Tim als Indiana Jones"-Geschichte ist und er das legendäre "Goldene Vlies" aus der griechischen Mythologie sucht.

Das Drehbuch stammt nicht von Hergé, obwohl dieser stets betonte, dass er daran mitgearbeitet habe, damit der Film den Geist der Tim-und-Struppi-Abenteuer habe. Und in der Tat, André Barret und Remo Forlani ist ein Werk gelungen, das sich nicht hinter den Comic-Alben zu verstecken braucht. Wie in den Alben wird auch hier der Lokalkolorit der Umgebung, in dem Fall von Istanbul und Griechenland eingefangen (obwohl man den Eindruck gewinnen könnte, Athen bestehe nur aus ein paar Gassen rund um die Akropolis - aber was soll's, man kann ja auch von jedem Fenster in jedem Haus in Paris den Eifelturm sehen). Die Schauspieler sind hervorragend gewählt, Jean-Pierre Talbots Darstellung von Tim ist genial und er sieht seinem Comicvorbild sehr ähnlich. Bei den anderen Darstellern musste man etwas mit der Maske nachhelfen, etwa bei Haddock (was bei seinem Bart auffällt, der nicht so ganz echt aussieht) oder Bienlein. Aber so, wie sie geschrieben sind, wirken die Figuren, als wären sie gerade aus dem Comic gesprungen.

Die Handlung, da hat Hergé recht, entspricht ganz dem Geist der Tim-Geschichten, wie wir sie kennen - sogar die Auflösung. Allerdings kommt einem da manches auch zu bekannt vor, die Ereignisse um den Staatsschatz von Tétaragua erinnern an den "Schatz Rackhams des Roten" oder der Auftritt der "getarnten" Schul(t)zes, die die Tracht der griechischen Evzones tragen, stammt direkt aus "Reiseziel Mond". Schade ist auch, dass mit Tétaragua ein weiteres fiktives südamerikanisches Land eingeführt wird, das man gar nicht aus den Alben kennt. Für mich als Fan hätte der Film besser in das "Tim-und-Struppi-Universum" gepasst, wenn Paparanic beispielsweise in San Theodorus geputscht hätte, dann hätte man Tims alten Bekannten, den General Alcazar, zumindest erwähnen können.
In der deutschen Übersetzung hat sich ein Schnitzer eingeschlichen: Bienlein erfindet ein Mittel, das die Ergiebigkeit von Treibstoff vervielfacht (was sehr stark an die Tabletten erinnert, die Müller in "Im Reiche des schwarzen Goldes" verwendet, um das Benzin eines bestimmten Konzerns unbrauchbar zu machen; im Film sagt Bienlein sogar, es könne sein, dass der Motor wegen seines Mittels explodiert). Dieses Mittel nennt Bienlein "Tryphonium", und zwar auch in der deutschen Variante. Offenbar ist den Übersetzern nicht aufgefallen, dass Bienlein hier etwas macht, was er gern mit seinen Erfindungen tut: Er benennt sie nach sich selbst - "Tryphon" ist Bienleins Vorname im französischen Original. Entsprechend müsste das Mittel in der deutschen Version eigentlich "Balduinium" heißen.
Gut getroffen ist hingegen Haddocks Temperament und seine Kreativität beim Erfinden von Schimpfwörtern. Auch bei der Ausstattung wurde peinlichst darauf geachtet, dass alles so aussieht wie in den Comics. Haddock trägt seine schwarze Jacke und den blauen Pullover mit dem Schiffsanker, Tim seine Knickerbocker, Bienlein seinen grünen Mantel und den zerknautschten Hut und Schulze und Schultze ihre schwarzen Anzüge und die Melonen.

"Tim und das Geheimnis um das Goldene Vlies" ist für Tim-Fans sicherlich sehenswert, auch wenn der Film natürlich ob seines Alters schon etwas Patina angesetzt hat. Es macht einen ein wenig wehmütig, denn das war eine der letzten Gelegenheiten, eine Tim-Geschichte zu sehen, an der Hergé selbst noch mitgewirkt hat.

Freitag, 21. Oktober 2011

Tim und Struppi: ...im Sonnentempel [Rezension]



Der erste abendfüllende Zeichentrickfilm mit Tim und Struppi kam 1969 in die Kinos (die erste Zeichentrickfassung von "Der Fall Bienlein" entstand zwar früher, war aber nicht abendfüllend und nicht fürs Kino): "Tim und Struppi im Sonnentempel".

Handlung: Die Geschichte ist bekannt aus dem Doppelalbum “Die sieben Kristallkugeln” / “Der Sonnentempel“. Allerdings wurden etliche Änderungen vorgenommen:
  • Die Geschichte des ersten Bandes wurde generell stark zusammengekürzt, so dass Bienlein bereits nach 9 Minuten Film (einschließlich Titelmusik) entführt wird.
  • Dadurch fehlt der komplette Einstieg mit Haddock und Tim im Varieté. Auch der Auftritt von General Alcazar fällt komplett weg.
  • Die Geschichte der Expedition, die die Mumie von Rascar Capac findet und nach Europa bringt, wird in einem Vorwort wiedergegeben. Darin wird auch erwähnt, dass bereits fünf der sieben Forscher in Tiefschlaf gefallen sind (anders als im Album, in dem der fünfte Forscher wegen einer Unachtsamkeit von Schulze und Schultze Opfer des Angriffs wird).
  • Der Angriff auf den sechsten Forscher wird gezeigt und im Gegensatz zum Album sieht man, dass die Indios ein Blasrohr benutzen, um die Kristallkugeln zu ihrem Ziel zu bringen.
  • Der siebte Forscher wird im Film Professor Bergamott genannt ("Birnbaum" im Album), Mühlenhof heißt “Moulinsart” (französischer Originalname).
  • Aus einem Grund, der nicht näher erklärt wird, befindet sich die Mumie des Rascar Capac in Mühlenhof. Die ganze Sequenz, in der diese von einem Kugelblitz getroffen wird und Birnbaum über den Fluch spricht, findet dort statt.
  • In dieser Sequenz nimmt Bienlein zudem den Schmuck des Rascar Capac sofort an sich, Birnbaum wird Opfer des letzten Kristallkugel-Anschlags und Bienlein entführt (im Album finden diese Ereignisse teilweise Nachts, teilweise erst am nächsten Tag statt). Es stellt sich die Frage, warum Tim und Haddock, die sich mit Birnbaum in einem Raum befinden, nicht auch Opfer der Dämpfe werden, die die Kristallkugel verströmt, nachdem sie zerbrochen ist, und von denen Menschen in den merkwürdigen Schlafzustand versetzt werden.
  • Die Entführer fliehen mit Bienlein nicht in einem Auto, sondern im Hubschrauber. Dadurch entfällt die ganze Handlung darum, dass die Entführer das Fluchtfahrzeug tauschen und schließlich im Hafen versenken.
  • Auf die Spur des Schiffes Pachacamac, das Bienlein und seine Entführer nach Südamerika bringt, kommen Tim und Haddock nicht durch Bienleins Hut, sondern durch einen stotternden Augenzeugen, der Bienlein gesehen hat.
  • Als Tim sich in Peru heimlich an Bord der Pachacamac schleicht, erfährt er sofort, dass die Reise der Entführer nach Jauga gehen wird. Dadurch trennen er, Haddock und die Schul(t)zes sich nicht, letztere sind auf der ganzen Expedition zum Sonnentempel mit dabei (im Album folgen die “beiden Unvergleichlichen” – Zitat Haddock – einer anderen Spur und verlieren Tim und Haddock dabei).
  • Den Weg nach Jauga setzen die Vier mit einer Draisine fort, nachdem man ihren Wagen vom Zug abgekoppelt hat (im Album fährt ihnen ein Montagewagen aus Jauga entgegen, nachdem man dort das Fehlen des Waggons bemerkt hat). Neu hinzugekommen ist eine Szene, in der das “Pisco-Fest” in Jauga gezeigt wird (Pisco ist das Nationalgetränk von Peru, von dem Haddock ins Schwärmen gerät). Tim wird nicht von dem Hohepriester aus dem Sonnentempel beschattet, was zur Folge hat, dass ihm dieser auch nicht den Talisman gibt, nachdem Tim Zorrino geholfen hat. Dadurch gibt es später keinen Grund, Zorrino vor dem Tod auf dem Scheiterhaufen zu bewahren (siehte weiter unten).
  • Zorrino erwartet Tim und seine Gefährten nicht an der Brücke, sondern ein Stück am Fluss lang. Bei der Kanufahrt gehen die Schul(t)zes für eine zeitlang verloren.
  • Der Alptraum, den Tim an der ersten Rast hat, ist anders umgesetzt, wirkt aber nicht minder verstörend.
  • Die Ereignisse um die Indios, die Zorrino entführen, und den Kondor, der Struppi wegschleppt, sind miteinander verbunden worden. Die Indios tauchen später nicht mehr auf, weil die ganze Szene, in der Haddock den Lamas über eine mit Schnee bedeckte Ebene nachläuft, ebenfalls fehlt.
  • Auch im Dschungel wurde einiges weg gelassen, wie etwa der Tapir oder der Ameisenbär.
  • Der geheime Zugang zum Sonnentempel wird auf die gleiche Weise entdeckt, allerdings gibt es keinen Erklärungsversuch, wieso es in der Höhle nicht dunkel ist (im Album ist von “phosphoriszierendem Gestein” die Rede). Die Stelle, in der Tim auf ein altes Inkagrab stößt, fehlt.
  • Der oberste Inka hat eine Tochter, die um das Leben von Zorrino und seinen Gefährten (ja, in dieser Reihenfolge!) bittet. Anders als im Album wird Zorrino ebenfalls zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt, was natürlich damit zusammenhängt, dass der Junge den Talismann nicht wie im Album gekriegt hat (siehe weiter oben).
  • Die Exekution wird wie im Album angesetzt, aber die Schul(t)zes stehen ebenfalls auf dem Scheiterhaufen. Bienlein spricht nicht davon, dass er das ganze Spektakel für einen Hollywood-Film hält.
  • Als der oberste Inka daran geht, die Voodoopuppen zu zerstören, die die gequälten Wissenschaftler zeigen, stellt sich heraus, dass es auch für Haddock eine Puppe gegeben hat, die aber nicht eingesetzt wurde. Warum es diese Puppe gibt, wird nicht erklärt, auch nicht, warum sie nicht eingesetzt wurde.
  • Die Stelle, in der Haddock aus einer Quelle Wasser trinkt, das er dann einem Lama ins Gesicht spuckt, findet bereits am Sonnentempel statt. Die Satteltaschen voll mit Gold werden nicht gezeigt.
  • Schließlich müssen noch die zwei Lieder erwähnt werden, eines, in dem Zorrino das Leben im Dschungel besingt, das andere, ein trauriges Duett zwischen ihm und der Tochter des obersten Inkas mit dem Titel “Warum darf Zorrino nicht leben?”. Beide kommen natürlich nur im Film vor. Für die deutsche Fassung der Lieder zeichnet übrigens Heinrich Riethmüller verantwortlich, in Deutschland vor allen Dingen bekannt als musikalischer Leiter der Fernsehsendung "Dalli Dalli".
Kritik: Der Film wirkt leider sehr hektisch – und ob er unbedingt etwas für Tim-Fans ist, die die Handlung des “Kristallkugeln”/”Sonnentempel”-Doppelbandes natürlich ganz genau kennen, sei mal dahingestellt. Die ersten zwanzig Minuten wirken so, als wolle man die lästige Vorgeschichte um die sieben Kristallkugels schnell abhandeln, um endlich zum eigentlichen Thema des Films kommen zu können, dem Sonnentempel. Dabei kommt leider die inhaltliche Geschlossenheit abhanden, etwa wenn nicht erklärt wird, warum sich die Mumie von Rascar Capac in Mühlenhof befindet (die einzige Erklärung ist natürlich die, dass man dadurch keinen neuen Schauplatz – Birnbaums Villa – ins Spiel bringen musste, was wiederum Szenen einsparte). Es ist meine persönliche Vermutung, dass die Voodoopuppe, die Haddock zeigt, deswegen in die Szene im Sonnentempel eingefügt wurde, weil sich die Mumie im Schloss befunden hat. Dummerweise wird das nicht erklärt, der oberste Inka sagt schlicht und ergreifend: “Auch Du solltest leiden!”

Der Film hinterlässt bei mir gemischte Gefühle. Er ist handwerklich gut gemacht, kommt aber an seine Vorlage nicht heran. Mehr als einmal wirkt er, als habe man auf Biegen und Brechen Abenteuerkino für Kinder machen wollen und die vielen Raffinessen, die Hergés Geschichte hat, schlicht außen vor gelassen. Verantwortlich für das Drehbuch zeichnet übrigens ebenfalls Greg, wie schon beim "Haifischsee".

Donnerstag, 20. Oktober 2011

Tim und Struppi: Tim und der Haifischsee [Renzension]



Nachdem der Erfolg von Tim immer mehr wurde, dachte man auch darüber nach, Spielfilme um den Reporter zu produzieren. Tatsächlich waren die ersten Kinofilme, die 1960 und 1964 entstanden, Realfilme mit einem Schauspieler namens Jean-Pierre Talbot in der Hauptrolle: “Tim und das Geheimnis des goldenen Vlieses” und “Tim und die blauen Orangen”. Zu diesen Filmen komme ich noch in einem anderen Artikel.

Schon 1959 wurde eine Kurzepisode als Zeichtrick umgesetzt, und zwar “Der Fall Bienlein”, der allerdings herbe Kritik einstecken musste, da er in weiten Teilen von der Handlung des Albums zum Teil gravierend abwich.

1969 gab es den ersten abendfüllenden Zeichentrickfilm: “Der Sonnentempel”, natürlich nach dem gleichamigen Album und seinem Vorgänger “Die sieben Kristallkugeln”. Nach dessen Erfolg wurde 1972 ein weiterer Kinofilm produziert, von dem es erst hinterher ein Album geben sollte: “Tim und der Haifischsee”.

Inhalt: Bienlein ist auf Einladung eines geheimnisvollen Mäzens nach Syldavien gekommen, um an einer dreidimensionalen Kopiermaschine zu arbeiten. Als Tim und Haddock, begleitet von den Schul(t)zes ihn besuchen wollen, kommt es zu mehreren seltsamen Zwischenfällen: das Lufttaxi, das sie zu Bienleins Villa bringen soll, stürzt ab, Leute schleichen ums Haus und Unterlagen von Bienlein verschwinden. Als schließlich auch noch Tims neue syldavische Freunde Nico und Nuschka von Froschmännern entführt werden, wird klar, dass ein Gangster Bienleins Kopiermaschine haben möchte, weil man mit ihr perfekte Kopien von wertvollen Kunstgegenständen herstellen kann. Tim lässt sich zum Schein auf die Erpressung ein – und sehr zu seiner Überraschung ist der Gangsterboss ein alter Bekannter.

Kritik: Das Drehbuch zu diesem Film wurde nicht von Hergé, sondern von Greg – alias Michel Regnier – geschrieben. Das merkt man dem Buch auch an, denn der “Haifischsee” ähnelt sehr stark einer James-Bond-Geschichte (und mit dem Spruch “Der James Bond der Comicwelt” wurde der Film auch beworben). Ganz im Stil von James Bond ist die Gangsterorganisation in einem mit allen technischen Finessen ausgestatteten Geheimversteck sowie die Tatsache, dass der Oberbösewicht das Geheimversteck in die Luft sprengt, als er er verlässt, wobei er den Held zurücklässt und hofft, dass dieser bei der Explosion umkommt.

An diesem Punkt muss man die Kritik auseinanderspalten. Zuerst zum Album, das man nach dem Film gestaltet hat: das hat leider sehr viele Schwächen. Die Geschichte wurde als Film konzipiert und nutzt viele Stärken des Mediums aus, die sich leider nicht in ein Album übertragen lassen. Hinzu kommt, dass es etwa zwanzig Seiten weniger Umfang hat als die anderen Abenteuer, trotzdem werden aber etliche Teile der Handlung gekürzt und in Form von Texten wiedergegeben. Die Bilder des Films wirken, als seien sie dem Film direkt entnommen und ein wenig bearbeitet worden, zum Beispiel um Bewegung darzustellen, sie stammen aber definitiv nicht aus dem Film (wer Film und Album direkt vergleicht, wird das bemerken; beispielsweise malt Haddock im Film auf einem Plakat der Castafiore einen Bart mit Hilfe eines Streichholzes, das er gerade verwendet hat, um seine Pfeife anzuzünden, im Album sieht man ihn mit einem zufriedenen Lächeln einen Kugelschreiber in seine Jacke zurückstecken). Man hat aber – aus welchen Gründen auch immer – die Optik beibehalten (deutliche Abgrenzung Vordergrund – Hintergrund). Auf diese Weise ist das Album wohl nur etwas für jene, die ihre Sammlung vollständig halten wollen.




Nun zum Film: Der ist durchaus empfehlenswert. Wie bereits gesagt nutzt er einige Stärken des Mediums, zum Beispiel, dass sich Slapsticksituationen sehr viel besser darstellen lassen. Ich habe an einigen Stellen laut aufgelacht, die besonders gelungen waren (zum Beispiel kämpfen Haddock und Tim an Schluss mit den Bösewichten, während im Hintergrund ein Fernseher mit einem Fussballspiel läuft – und der Kommentar des Spiels passt genau auf den Kampf). Allerdings muss man, um den Film genießen zu können, es akzeptieren, dass es keine typische Tim-Geschichte ist. Es ist eben Kino, ein wenig kann man es vergleichen mit den Änderungen, die an den James-Bond-Büchern von Ian Fleming vorgenommen wurden, als man sie verfilmte.

Wer sich für “Tim und der Haifischsee” interessiert, sollte also lieber den Film sehen, anstatt das Album zu lesen. Dieser ist zusammen mit “Der Fall Bienlein” und “Der Sonnentempel” in einer Spielfilmbox erschienen. Daher folgt als nächstes noch eine Betrachtung der frühen filmischen Umsetzung vom “Sonnentempel”.

Mittwoch, 19. Oktober 2011

Tim und Struppi: Tim und die Picaros [Rezension]



Die Abstände zwischen den einzelnen Tim-Alben waren im Laufe der Zeit immer länger geworden. Bis “Tim in Tibet” kamen die Abenteuer stets nacheinander (mit Ausnahme der Zwangspausen, etwa im Krieg). Bis zu “Die Juwelen der Sängerin” dauerte es zwei Jahre, dann fünf Jahre bis “Flug 714 nach Sydney”. Mit diesem Album feierte Hergé seinen 60. Geburtstag. Doch danach sollten neun Jahre ins Land gehen, bis 1975 wieder eine Geschichte fertiggestellt war.

Inhalt: Kapitän Haddock stellt fest, dass er seinen geliebten “Loch Lomond”-Whisky nicht mehr mag, doch das ist nur seine kleinste Sorge. Nachdem General Alcazar in “Kohle an Bord” noch seinen ewigen Widersacher Tapioka besiegt und die Macht in dem südamerikanischen Land San Theodorus übernommen hatte, hat sich nun der Wind wieder gedreht. Tapioka ist an der Macht und Alcazar in den Dschungel geflohen. Als Bianca Castafiore, begleitet von den Schul(t)zes, auf Tour in das Land kommt, entdeckt man angeblich geheime Papiere, mit der sie der Verschwörung beschuldigt wird. In die Verschwörung sollen auch Haddock und Tim verwickelt sein, da die Castafiore zu den beiden guten Kontakt habe. Als Haddock dem in einer blumigen Sprache widerspricht, lädt Tapioka ihn, Tim und Bienlein nach San Theodorus ein, um die Sache zu klären. Tim wittert eine Falle, doch etwas muss getan werden: die Castafiore, ihre Zofe Luise und Igor Wagner werden zu langen Haftstrafen verurteilt, die Schul(t)zes gar zum Tode. Hilfe kann vielleicht Tims alter Freund General Alcazar bringen – zusammen mit seinen Soldaten, den Picaros.

Kritik: Was mich persönlich als Kind an dem Album am meisten beeindruckt hat, war ein Kunstgriff, den Hergé verwendet hat, um die Situation in Südamerika auf die Spitze zu nehmen. Als Haddock und Bienlein in San Theodorus eintreffen, sieht man ihren Flieger, der über einem Elendsviertel, einer Favela, wie man sie aus vielen Fernsehberichten kennt, den Flughafen ansteuert. An den in tiefster Armut lebenden Menschen gehen zwei Polizisten vorbei und über den Hütten prangt ein Schild mit dem Spruch “Viva Tapioca”. Das letzte Bild des Albums zeigt den Flieger mit Tim, Haddock und Bienlein, der gerade startet und die drei in die Heimat zurückbringt. Die Szene im Vordergrund ist fast identisch, das Elendsviertel, die armen Menschen und zwei Polizisten (die andere Uniformen tragen und statt Schnauz- nun Vollbärte) – und ein Schild mit dem Spruch “Viva Alcazar”. Das hat mich damals schon zum Nachdenken gebracht, und genau das soll die Szene auch. Egal, wie der Machthaber heißt, an der Situation der armen Leute hat sich nichts geändert.

Viel geändert hat sich aber an den Figuren. In diesem Album ist es Tim, der sich zunächst weigert, mit ins Abenteuer zu gehen. Haddock verträgt keinen Alkohol mehr, was er einer Erfindung von Professor Bienlein verdankt, die sich im Verlauf der Geschichte noch als sehr nützlich erweisen wird. Und Bienlein hat offenbar ein paar Skrupel abgelegt, seine Erfindung an Haddock zu testen, ohne diesem etwas zu sagen. Als das Album erschien, war Tim fast 50 Jahre in den verschiedensten Abenteuern unterwegs. Eine gewisse Müdigkeit ist ihm anzumerken.

Die Geschichte ist jedoch auch jene mit der am stärksten zum Ausdruck gebrachten Sozialkritik. Dazu gehört nicht nur die oben bereits erwähnte Szene mit den Elendsvierteln, sondern auch die betrunkenen Arumbayas, die gnadenlose Staatsmacht eines General Tapioka oder der Hintergrund des Konflikts zwischen Tapioka und Alcazar, den Tim am Anfang erklärt und der klar macht, dass zwei ausländische Firmengruppen die jeweilige Seite für ihre eigenen Interessen unterstützen. Aber auch im Kleinen sieht man es, denn als Tim auf der ersten Seite mit seinem Moped auf Mühlenhof ankommt, trägt er einen Helm mit einem Aufkleber der Friedensbewegung.

Durch die besonderen Umstände wurde dieses Abenteuer leider zum letzten vollständigen und es ist durchaus auch ein würdiger Abschluss, obwohl Hergé diesen offenbar erst für die nächste Geschichte vorgesehen hatte. Bevor ich jedoch zu dieser komme, die leider unvollständig geblieben ist, muss noch ein Seitenblick auf ein paar andere Geschichten geworfen werden. “Tim und die Picaros” jedenfalls ist ein gutes Abenteuer mit starkem Hintergrund.

Dienstag, 18. Oktober 2011

Tim und Struppi: Flug 714 nach Sydney [Rezension]



Vier Jahre dauerte es, bevor Hergé nach “Die Juwelen der Sängerin” sich an ein neues Tim-Abenteuer machte. Dessen Auflösung sollte unter den Fans der Reihe sehr umstritten sein.

Inhalt: Auf dem Weg zu einem Astronautik-Kongress in Sydney laufen Tim, Haddock und Professor Bienlein dem Multimillionär Laszlo Carreidas über den Weg, der sie spontan einlädt, in seinem privaten Überschallflugzeug mitzukommen. Auf diese Weise geraten sie mitten in eine Entführung: der Privatjet wird zwangsweise auf eine Insel im Pazifik umgeleitet. Nachdem er dort mehr schlecht als recht gelandet ist, offenbart sich der Kopf hinter der Entführung: Rastapopoulos, der sich von Carreidas’ Vermögen einen Teil abzweigen möchte. Um die Nummer eines geheimen Schweizer Bankkontos zu erfahren, bedient sich der Verbrecher eines von dem zwielichtigen Doktor Krollspell entwickelten Serums, das Carreidas dazu bringen soll, seine Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten. Den Gefangenen wird klar: Sobald der Millionär geredet hat, wird man sie beseitigen. Sie entkommen ihren Wachen, doch auf der Flucht beginnt Tim Stimmen zu hören, die ihn zu einer Höhle geleiten. Dort treffen sie auf einen ungewöhnlichen Gast.

Kritik: Hergé interessierte sich für die Überlegungen, ob es außerirdisches Leben gibt, und das so sehr, dass er – nach “Die Juwelen der Sängerin” – erneut mit einem Prinzip seiner Reihe brach: Dass ein gewisser Grad von Realismus eingehalten wird. Das Auftauchen einer fliegenden Untertasse führte dazu, dass das Album von vielen Fans kritisiert wurde. Auch wenn die Außerirdischen selbst nicht gezeigt werden, geht der Zeichner doch hier sehr weit ins Spekulative.

Unabhängig von diesem Aspekt wirkt der Auftritt von einer “nicht-irdischen” Macht ein wenig wie ein “Deus ex Machina”: die Flucht von der Insel und vor Rastapopoulos, seinem Gefolgsmann Allan Thompson und deren Helfershelfern (sondonesische Freiheitskämpfer, denen der notorische Gangster ein Märchen aufgetischt hat) gelingt ihnen nur durch die “Hilfe von oben”. Das macht die Geschichte leider etwas schwach, obwohl sie sehr vielversprechend beginnt.

Wenn man von dieser Schwäche mal absieht, hat das Abenteuer aber ebenfalls einige großartige Höhepunkte, etwa wenn Allan bei der Begegnung mit einem Nasenaffen an Rastapopoulos erinnert wird oder wenn das Wahrheitsserum, das Krollspell Carreidas verabreicht, dazu führt, dass dieser wirklich die absolute Wahrheit erzählt: er fängt an, sämtliche Schandtaten seines Lebens, beginnend von seiner Kindheit an, zu gestehen. Ähnlich wie bei “Indiana Jones und das Königreich das Kristallschädels” muss man entweder die Anwesenheit von Außerirdischen ankzeptieren oder über sie hinwegsehen und den Rest genießen, dann hat man auch hier ein nettes, kurzweiliges Abenteuer mit vielen humoristischen Höhepunkten.

Das Cover des Albums war übrigens nach dem Flugzeugabsturz am Amsterdamer Flughafen 1992 Vorlage für eine bitterböse Parodie: ein Poster, das Aktionisten gegen den Flughafen gestalteten. “Vlucht LY-1862 naar Schiphol” (Deutsch “Flug LY-1862 nach Schiphol”) heißt es dort statt dem Originaltitel, die Steinstatuen, die das Bild links und rechts begrenzen, wurden durch rauchende Trümmer ersetzt und statt Tim und seinen Gefährten stehen in der Mitte Feuerwehrleute, die gerade dabei sind, den Brand des Absturzes zu löschen (eine Version dieses Posters kann man auf dieser Seite ganz unten betrachten). Am 2. Oktober 1992 war eine Boeing 747, der “Flug LY-1862″, kurz nach dem Start von Schiphol in zwei Amsterdamer Hochhäuser gestürzt. Nach der Katastrophe war die Diskussion darüber, ob Flughäfen so nah an Wohngebieten stehen sollten, wieder aufgeflammt.

Montag, 17. Oktober 2011

Tim und Struppi: Die Juwelen der Sängerin [Rezension]



Die bisherigen Geschichten vom Tim und Struppi waren Abenteuer im “klassischen Sinn”: der Held zieht hinaus in die Welt und findet dort eine Situation vor, die er bereinigt. Für das neueste Album brach Hergé jedoch mit diesem Prinzip. Das Abenteuer sollte nach Mühlenhof kommen.

Inhalt: Ganz überraschend meldet sich Bianca Castafiore zum Besuch im Mühlenhof an. Als Haddock überstürzt abreisen will, fällt er über eine kaputte Treppenstufe und verstaucht sich den Knöchel. An ein Entkommen ist somit nicht mehr zu denken und so muss er die Ankunft der Castafiore, ihrer Zofe Luise und ihrem Pianisten Igor Wagner über sich ergehen lassen – mit allen Konsequenzen, einer Fernsehübertragung von Mühlenhof und umherschnüffelnden Journalisten, die auf der Suche nach einer Story sind. Doch plötzlich verschwindet das wertvollste Stück vom Schmuck der Castafiore: ein Smaragd, den ihr der Mahardscha von Gopal geschenkt hat.

Kritik: Wollte man ein Tim-und-Struppi-Theaterstück verfassen, “Die Juwelen der Sängerin” wäre die ideale Vorlage. Der Schauplatz ist und bleibt Mühlenhof – und das reicht auch. Über das Chaos, das die Ankunft der “italienischen Nachtigall” auslöst bis zum Verschwinden des Smaragds gibt es allerhand komische Situationen, die in einer Krimihandlung verwoben sind. Hergé macht es dabei sichtlich Spaß, falsche Spuren zu legen und auch mit Ressentiments zu spielen, etwa wenn die Schul(t)zes eine in der Nähe von Mühlenhof lagernde Gruppe Zigeuner des Diebstahls verdächtigen, ohne einen wirklichen Anhaltspunkt dafür zu haben. Die Geschichte geht so von Spur zu Spur, bis Tim schließlich die richtige Idee kommt. Und wenn der geneigte Leser das erste Bild des Abenteuers genau betrachtet, so wird er feststellen, dass die Lösung dort schon versteckt ist.

Für diese Geschichte wurde eine neue Nebefigur mit eingebaut: der Maurer Stein, der eigentlich die kaputte Treppenstufe richten sollte, sich aber immer entschuldigt, weil er keine Zeit gehabt hat. Interessanterweise ist er aber Mitglied der “Harmonie Mühlenhof”, die dem Kapitän und der Castafiore ein Ständchen bringt (und wer genau hinschaut, wird auch Metzgermeister Schnitzel entdecken). Stein steht hier stellvertretend für die Handwerker, die ihre Termine nie einhalten, weil “was dazwischen kam”.

Dieses Album unterscheidet sich durch die vom Ort her eingeschränkte Geschichte sehr von den bisherigen. Es passiert auch nichts von einer ähnlichen Dramatik wie in den bisherigen Abenteuern. Niemand wird bedroht, niemand ist in Gefahr und der “Schurke” hinter der ganzen Sache ist nicht Rastapopoulos. Deswegen kann es sein, dass “Die Juwelen der Sängerin” bei dem einen oder anderen Fan nicht so gut ankommt, denn die bekannten Pfade werden hier konsequent verlassen. Für mich persönlich war es eine erfrischende Abwechslung. Leider war meine ursprüngliche Ausgabe bei einem Umzug so beschädigt worden, dass ich sie leider entsorgen musste. Daher habe ich eine neue Auflage gekauft und eine Änderung festgestellt: In der alten Fassung war die Titelschlagzeile des Magazins “Tempo di Roma” eingedeutscht (“Die Diva und der Papagei”), in der neuen Fassung hat man die Authentizität etwas mehr hervorgehoben, indem man diese Schlagzeile italienisch (“La Diva e il Pappagallo”) ließ.

Sonntag, 16. Oktober 2011

Tim und Struppi: Tim in Tibet [Rezension]



1958 war kein gutes Jahr für Hergé. Eingespannt durch die Arbeit an den Abenteuern von Tim litt seine Ehe. Der Zeichner musste schließlich erkennen, dass die Liebe erloschen war, was ihn in eine tiefe Krise stürzte. In Albträumen fand er sich in einer Welt wieder, in der alles weiß war – weiß wie ein unbeschriebener Bogen Papier. Er zog einen Psychologen zu Rate, der ihm auf den Kopf zu sagte, dass er nie wieder eine Geschichte beenden würde und es besser wäre, das Zeichnen ganz aufzugeben. Hergé jedoch tat, was die moderne Psychoanalyse als “Konfrontationstherapie” bezeichnet: Er verarbeitete alles – die weißen Flächen, seine Krise und den Rat, einfach aufzugeben – in einem neuen Tim-Abenteuer.

Inhalt: Tim, Haddock und Bienlein machen Urlaub in den Alpen, als ein Brief von Tschang Tschong-Jen (aus “Der blaue Lotos”) kommt. Er kommt nach London, will aber vorher Tim noch einen Besuch abstatten. Unglücklicherweise stürzt seine Maschine in den Bergen von Tibet ab. Laut Zeitungsberichten hat kein Passagier überlebt, doch aufgrund eines Traumes, den er hat, ist Tim davon überzeugt, dass Tschang noch lebt. Gegen alle Widrigkeiten und den ewig nörgelnden Kapitän Haddock macht sich der Reporter auf zur Absturzstelle in den Bergen, um seinen Freund zu retten.

Kritik: “Tim in Tibet” zeigt eine neue Nuance auf, denn in dieser Geschichte gibt es keinen Bösewicht oder eine große Bedrohung. Es geht um innere Werte wie Freundschaft und was man für eine Freundschaft bereit ist, auf sich zu nehmen. Tim ist bereit, sehr viel auf sich zu nehmen. Immer wieder ist er bereit, allein aufzubrechen, aber jedes Mal kommt Haddock – entgegen seiner Ansagen – wieder mit. Auch hier ist das Thema “Freundschaft”, denn eigentlich hat Haddock mit Tschang nichts zu schaffen und ist davon überzeugt, dass jener bei dem Absturz ums Leben kam, dennoch lässt er sich in dieses Abenteuer mitziehen.

Auf hervorragende Weise ist es Hergé gelungen, den Lokalkolorit einzufangen, etwa bei dem traditionellen Gruß, bei dem tibetanischen Kloster und nicht zuletzt bei den schneebedeckten Weiten der Berge, die letztlich nichts als eine Reflektion der großen, weißen Flächen sind, die dem Zeichner in seinen Albträumen begegneten. Indem er mit viel Gefühl eine persönliche Situation verarbeitete, hat er eine starke und authentische Geschichte geschaffen, in der ein seltener Moment zu sehen ist: Angesichts der Nachricht, dass Tschang mit dem Flugzeug abgestürzt ist, kommen dem sonst so unerschrockenen Reporter die Tränen.
Durch alle diese Faktoren sticht das Album aus der Reihe heraus wie der Gipfel des Himalaja. Auch so kann man ein Abenteuer erleben, bei dem die Spannung nicht so sehr um die Frage “Wie kommt der Held aus dieser gefährlichen Situation wieder heraus?” geht, sondern um: “Was tut der Held als nächstes? Wie geht es weiter?” Und als Leser ist man geneigt, Tim anzufeuern, wenn er wieder einen Hinweis entdeckt, was Tschang widerfahren sein könnte.

Sehr zum Ausdruck bringt Hergé auch seine Faszination für den tibetanischen Buddhismus, wobei ihm bei der Ausarbeitung die politische Realität in die Quere kam: Der Dalai Lama, das geistige Oberhaupt der Tibetet, gab dem Druck der chinesischen Regierung nach, die das Land 1949 hatte besetzen lassen, und floh im März 1959 nach Indien ins Exil. “Tim in Tibet” wurde im November des gleichen Jahres abgeschlossen. Die persönliche Situation des Zeichners hatte sich bis dahin zum Positiven gewandelt - soweit man eine Scheidung als "positiv" bezeichnen kann.

Samstag, 15. Oktober 2011

Tim und Struppi: Kohle an Bord [Rezension]



1956 beginnt Hergé die Arbeit an einem Abenteuer, in dem eine ganze Reihe Figuren aus vergangenen Alben wieder auftauchen würden. Verbunden wurde das ganze durch eine mehrschichtige Handlung, die sich verschiedenen aktuellen Problemen widmeten. Eines davon: der Sklavenhandel.

Handlung: Zuerst begegnen Tim und Haddock nach einem Kinobesuch General Alcazar, dann wartet als zweite Überraschung auch noch Abdallah (aus “Im Reiche des schwarzen Goldes”) auf sie in Mühlenhof. Der Grund stellt sich bald heraus: In Abdallahs Heimatland hat es einen Staatsstreich gegeben und sein Vater, der Emir, musste flüchten. Sein Widersacher, Scheich Bab El Ehr, hat seine Flugzeuge aus der gleichen Quelle, aus der auch Alcazar Waffen beziehen will, um in San Theodorus wieder an die Macht zu kommen. Tim und Haddock reisen nach Khemed, um den Emir zu besuchen, doch ihre Reise wird sabotiert. Zu Fuß versuchen sie, sich nach Watisdah durchzuschlagen, um von dort weiter in die Wüste zu reisen.

Kritik: General Alcazar, Abdallah, Dawson, Oliveira de Figueira, Doktor Müller, Ben Kalisch Ezab, Allan Thompson und Roberto Rastapopoulos. Das sind die Figuren aus früheren Alben, die sich in “Kohle an Bord” ein Stelldichein geben (in der Reihenfolge des Erscheinens). Und da sind General Tapioka und Scheich Bab El Ehr gar nicht mit dabei, denn diese werden eigentlich nur erwähnt, auch wenn sie eine gewisse Rolle spielen. Nicht ganz in die Reihe passt der Pilot Pjotr Klap, der hier zum ersten Mal dabei ist, aber nochmal wiederkehren wird.

Mit dem Sklavenhandel hatte Hergé wieder ein Thema gefunden, bei dem er Tim für die Schwachen eintreten lassen konnte. Mit entsprechender Dramatik kommt die Geschichte dann auch daher, etwa, als die in den Laderaum eingepferchten Pilger auf Haddock einstürmen, den sie für einen ihrer Peiniger halten. Mit der Idee, dass muslimische Pilger auf dem Weg von Afrika nach Mekka, also auf einer der heiligen Handlungen, die ein Moslem laut dem Koran in seinem Leben mindestens einmal machen sollte, verschwinden und als Sklaven verkauft werden, hat der Zeichner eine Idee aufgegriffen, die er in einem Zeitungsartikel gelesen hatte. Dort wurde von einer ebensolchen Praxis berichtet, mit der arabische Kunden mit Sklaven versorgt wurden. Der Codesatz “Kohle an Bord”, der der Geschichte auch den Namen gab, ist jedoch eine Erfindung von Hergé – aber eine sehr treffende, die die Menschenverachtung der Leute zum Ausdruck bringt, die andere Menschen als Ware ansehen. Im Originaltitel kommt das sogar noch besser zum Tragen: "Coke en Stock" heißt wörtlich übersetzt "Kohle auf Lager".

Neben der düsteren Grundstimmung gibt es aber natürlich auch wieder lustige Momente, für die meistens Haddock zuständig ist, so zum Beispiel, als er so müde ist, dass er während des Gesprächs mit Oliveira de Figueira einschläft oder als er sich Bianca Castafiore, die wie immer seinen Namen verdreht, als “Harrock’n Roll” vorstellt.

Das Ende der Geschichte mit dem Schicksal von Rastapopoulos geht schon ein wenig in Richtung der James-Bond-Filme. Allerdings muss man bedenken, dass “Kohle an Bord” 1958 beendet wurde, die Welt aber noch vier Jahre auf den ersten Bond-Kinofilm warten musste. Das Album ist erneut eine spannende Geschichte. Dass der Hintergrund um Waffenschmuggel und Staatsstreich, der in die Handlung um den Sklavenhandel auch noch einspielt, manchmal etwas verwirrend ist, tut dem Gesamten keinen Abbruch. Schließlich ist auch im realen Leben die Politik nicht einfach.

Freitag, 14. Oktober 2011

Tim und Struppi: Der Fall Bienlein [Rezension]



Mitte der 1950er kehrte Hergé zu den Einzelband-Abenteuern zurück und sollte auch dabei bleiben. Inzwischen hatte er ein eigenes Studio und begann, dessen Möglichkeiten voll auszuschöpfen. Bisher fertigte er die Zeichnungen zuerst mit Bleistift an und übertrug sie dann mit Tusche. Danach wurden sie koloriert. Nun konnte er verschiedene Techniken und Blickwinkel ausprobieren – ganz wie im Kino. Und wie im Kino sollte auch das neueste Abenteuer aussehen.

Inhalt: Auf Schloss Mühlenhof gehen ohne ersichtlichen Grund Gläser zu Bruch. Nachdem Bienlein zu einem Kongress nach Genf abgereist ist, ist der Spuk zuende. Tim vermutet einen Zusammenhang. In Bienleins Labor finden sich riesige Apparate, die zeigen, dass er an einem Experiment mit Ultraschall gearbeitet hat. Als Haddock und Tim dort einen bordurischen Spion überraschen, wird ihnen klar, dass der Professor in Gefahr ist. Sie reisen ihm nach und geraten in einen Konflikt zwischen Agenten aus Syldavien und Bordurien.

Kritik: Zuerst zwei Dinge, die nicht so ganz stimmig sind. Zum einen wird nicht klar, warum Bienlein diese Experimente mit Ultraschall macht. Noch in “Reiseziel Mond” ist er stolz darauf, die Atomkraft zu einem friedlichen Zweck zu verwenden. Welchem friedlichen Zweck soll seine Ultraschallkanone dienen? Zum zweiten wird auch Syldavien in dem Band ziemlich zweifelhaft dargestellt, obwohl es ebenfalls in “Reiseziel Mond” / “Schritte auf dem Mond” das genaue Gegenteil war.

So, genug des Negativen. “Der Fall Bienlein” ist eine stimmige Agentengeschichte im Hitchcock-Stil, in der Hergé erneut aktuelle Realität mit fiktiven Elementen mischt. Der Konflikt zwischen Syldavien und einem offenbar kommunistischen Bordurien spiegelt den kalten Krieg wieder, unter dessen Einfluss das Album entstand. Die Möglichkeiten des Studios kamen Hergés Sinn für Perfektionismus sehr entgegen, und für diese Geschichte ging er sogar so weit, sich in Genf nach Schauplätzen umzusehen. Das Hotel, in dem Bienlein absteigt, existiert genauso wie die Villa, die Vorbild für die bordurische Botschaft war. Sogar die Stelle, an der Tim und Haddock im Auto von der Straße abgedrängt werden und in den Genfer See stürzen, hat er eigens gesucht.

Auch hier werden zwei neue Figuren eingeführt, die in späteren Alben nochmals auftauchen werden. Die eine ist Oberst Sponsz (dessen Namen sich tatsächlich von dem brüssler Wort für “Schwamm” ableitet), der Chef des bordurischen Geheimdienstes, die andere der aufdringliche Versicherungsvertreter Fridolin Kiesewetter. Hergé hat mit diesem einen Charakter eingefangen, den wahrscheinlich jeder Mensch kennt: ein Nervtöter, dessen Mundwerk einfach nicht still stehen kann und der damit natürlich prädestiniert ist für den Beruf eines Vertreters, denn natürlich hofft man immer, dass so eine Person möglichst schnell wieder geht. Und wie wird man einen Vertreter am schnellsten los? Indem man ihm was abkauft. Kiesewetter selbst akzeptiert auch kein “nein”, als Haddock ihm entnervt mitteilt, er sei gegen alles versichert, entgegnet ihm jener ohne auf den Einwand einzugehen: “Dann sind wir uns ja einig… bis bald!”

Den ersten Auftritt hat in dieser Geschichte auch die Metzgerei Schnitzel, deren Nummer dummerweise die gleichen Ziffern beinhaltet wie die von Mühlenhof – lediglich in anderer Zusammstellung, was dazu führt, dass entweder ständig Leute anrufen, die die Metzgerei haben wollen; umgekehrt landet Haddock ab sofort immer dann, wenn er besonders aufgeregt das Telefon bedient, bei deren Anschluss. Dass ersteres sehr nervig sein kann, kenne ich aus eigener Erfahrung, meine Telefonnummer war mal fast identisch mit der eines Kaffeeladens – nur zwei Ziffern waren verdreht.

Und noch ein Element führt Hergé ein, was vermutlich aus seiner eigenen Situation entstand: Kapitän Haddock, der in der Eingangssequenz erklärt, er habe genug von den Abenteuern und wolle nur noch Ruhe. Das entsprach dem Gefühl, das Hergé selbst hatte, manchmal fühlte er sich von seiner eigenen Schöpfung völlig eingenommen und sehnte sich nach Ruhe. In den folgenden Geschichten wird Haddock noch mehrmals den Wunsch nach Ruhe ausdrücken – und sich anschließend in ein neues Abenteuer stürzen. Auf die Spitze getrieben wird das in “Tim in Tibet”, aber dazu kommen wir noch.

Eine spannende Geschichte vor dem Hintergrund des Ost-West-Konflikts, die beweist, wie gut Hergés Abenteuer funktionieren, wenn sie zwar Fiktion, aber in der Realität verwurzelt sind. Dieses Abenteuer wurde auch als Vorlage für die erste "Tim-und-Struppi"-Comicverfilmung genommen, allerdings wich die Handlung des Films sehr stark von der des Albums ab, was einige Fans sehr übel nahmen.

Donnerstag, 13. Oktober 2011

Tim und Struppi: Schritte auf dem Mond [Rezension]



Über die Entstehung der Geschichte wurde schon alles bei “Reiseziel Mond” gesagt. “Schritte auf dem Mond” ist die direkte Fortsetzung.

Inhalt: Die Rakete mit Bienlein, Tim, Haddock, Struppi und Ingenieur Wolff ist auf den Weg zum Mond. Gleich nach dem Start die erste Überraschung: Schultze und Schulze, die “ein Uhr Nachts” und “ein Uhr Mittags” nicht auseinanderhalten können, sind mit an Bord. Die andere Überraschung offenbart sich nur langsam, während die Expedition bereits dabei ist, die Mondoberfläche zu erforschen: Ein Spion einer fremden Macht hat sich in der Rakete versteckt. Sein Ziel: die Mondrakete zu starten, die anderen auf dem Mond zurücklassen und ihre Forschungsergebnisse einer fremden Macht übergeben.

Kritik: Genauso glaubwürdig wie im ersten Band sind die Begebenheiten im zweiten Band beschrieben. Hergé verzichtete ganz auf Fantasterei, und so stoßen die Expeditionsteilnehmer nicht auf Mondbewohner oder ähnliches, sondern finden eine dunkle, lebensfeindliche Landschaft vor. Natürlich hat die Geschichte auch potentielle Fehler, aber die ergeben sich zwangsläufig, muss man doch bedenken, dass der erste Mondflug fast zwanzig Jahre später stattfand. Hergé musste sich auf wissenschaftliche Aussagen verlassen, und eine Theorie war, dass es Wasser auf dem Mond gäbe. Also lässt der Zeichner seine Helden eine Höhle entdecken, in der sie zuerst Stalagmiten und schließlich ein Eisfeld finden. Neil Armstrong und den anderen Astronauten der verschiedenen APOLLO-Missionen blieb so ein Anblick verwehrt, mittlerweile hat man jedoch tatsächlich Spuren von Wasser in Mondgestein gefunden. Stalagmiten wird man auf dem Mond wohl nicht finden, aber Wasser ist offenbar vorhanden.

Andere Abweichungen von der Realität sind der Erzähldramatik geschuldet, wie etwa die komplett durchsichtigen Kuppelhelme. Sie waren nötig, damit man auch von hinten erkennen kann, wer gerade im Bild ist. Bei den echten Astronauten hat der Helm lediglich vorne ein Visier, und das ist goldverspiegelt, um gegen Strahlen zu schützen.

Die Geschichte von der Mondexpedition steuert in diesem Band auf einen dramatischen Höhepunkt zu, einer der dramatischsten der Serie überhaupt. Leider ist die Geschichte um die Reise zum Mond der letzte Doppelband der Reihe. Die Bildkomposition und die gut gestrickte Handlung zeigen leider nicht, unter welchen Umständen sie zustande kamen. Hergé war mehrmals am Ende seiner Kräfte, so dass er ein Zeichenstudio gründete, in dem er Mitarbeiter mit klar verteilten Aufgaben hatte. Auch sein Arbeitsrhythmus wurde geändert und die nächsten Geschichten umfassten wieder jeweils nur eine Albumlänge.

Interessanterweise folgt die Geschichte in ihrer Struktur dem Zweiteiler "Von der Erde zum Mond" und "Reise um den Mond" von Jules Verne. Die Geschichte im ersten Teil der Erzählung endet auch, nachdem die Kapsel zum Mond gestartet ist (abgeschossen von einer gigantischen Kanone) und nicht klar ist, ob die Reisenden überlebt haben. Allerdings wusste Verne nicht, wie er die Kapsel vom Mond aus wieder starten lassen könnte, daher umkreisen seine Helden den Erdtrabanten nur, anstatt auf ihm zu landen.

Mittwoch, 12. Oktober 2011

Tim und Struppi: Reiseziel Mond [Rezension]



Der erste Mensch auf dem Mond – das war Neil Armstrong im Juli 1969? Falsch! Im März 1953 landete der Reporter Tim mit einer von seinem Freund Professor Balduin Bienlein geleiteten Expedition auf dem Erdtrabanten. Zumindest in einer Geschichte, die ein weiteres Meisterstück in Hergés Reihe darstellt.

Inhalt: Professor Bienlein schickt ein Telegramm und bestellt Tim und Haddock nach Syldavien, wo er sich derzeit aufhält. Die Überraschung ist groß: Syldavien hat ein Kernforschungszentrum, in dem der Wissenschaftler daran arbeitet, einen Atommotor zu erfinden. Der Motor soll eine Rakete antreiben, die Menschen auf den Mond bringen wird. Und Bienlein hat Tim und Haddock als seine Begleiter ausersehen. Doch schon in der Vorbereitungsphase wird klar: Eine fremde Macht hat großes Interesse an den Forschungsergebnissen von Bienleins Expedition. Schließlich jedoch findet er statt: der Start ins Ungewisse.

Kritik: Interessanterweise kamen auch die Autoren der 1961 gestarteten Heftroman-Reihe “Perry Rhodan” auf die Idee, die Rakete des ersten Mondflugs – den sie auf 1971 terminierten – mit einem Atommotor auszustatten. Doch was den Realismus betrifft, so hatte Hergé die Nase vorn (und ich spreche hier nicht von den Außerirdischen, die Perry Rhodan auf dem Mond fand, und Tim eben nicht). Während Rhodans “Stardust” permanent mit Atomkraft betrieben wird, benutzt Bienleins namenlose Mondrakete (lediglich das Testmodell trägt die Bezeichnung “X-FLR6″) für Start und Landung einen herkömmlichen Düsenmotor, um den jeweiligen Platz nicht radioaktiv zu verseuchen. Bei Rhodan wartete man nach der Landung noch darauf, dass die Radioaktivität außerhalb der Rakete nachlassen würde.

Überhaupt wurde unheimlich Arbeit in die Recherche zu dem Doppelalbum gesteckt. Hergé ließ sich ein Modell von der Innenaustattung der Mondrakete bauen, um sicherzustellen, dass diese auf allen Bildern authentisch wirkt. Seine Mitarbeiter und er konsultierten verschiedene Fachmagazine. Wie stellten sich Wissenschaftler die Mondoberfläche vor? Wie muss die Rakete konstruiert sein, wie die Raumanzüge? Welche Fortbewegungsmittel benutzt man auf dem Mond? So nimmt auch die Konstruktionszeichnung der Mondrakete eine volle Seite ein, bei der an alles gedacht ist.

Die Geschichte rund um den Mondflug ist wieder eine geheimnisvolle Kriminalgeschichte mit einer überraschenden Auflösung – aber die kommt erst in der Fortsetzung. Ganz in der Tradition des Cliffhangers endet dieser Band mit dem Start der Rakete – und niemand weiß, ob die Astronauten noch leben.
Mir als Science-Fiction-Fan gefällt gerade dieser Doppel-Band natürlich besonders. Ich bin begeistert von davon, wie akkurat hier vorgegangen wurde. Die Doppel-Bände sind generell meine Lieblingsbände, aber dieser ist denen mein persönliches Highlight.

Dienstag, 11. Oktober 2011

Tim und Struppi: Im Reiche des schwarzen Goldes [Rezension]



1948 machte Hergé sich daran, eine Geschichte neu zu bearbeiten und fortzusetzen, die er 1940 wegen der Invasion der Deutschen hatte abbrechen müssen: “Im Reiche des schwarzen Goldes”. Nachdem er es unter den Nazis nicht wagen konnte, einen Deutschen als Bösewicht darzustellen, war das nach dem Krieg wieder möglich. Allerdings musste er die Geschichte an ein paar geänderte Situationen anpassen.

Inhalt: Die Welt steht am Rand eines neuen Krieges. Gleichzeitig sabotiert jemand die Benzinvorräte der westlichen Welt. Das Benzin ist verdorben und führt dazu, dass Motoren unerwartet explodieren. Während Schulze und Schultze dahinter eine Firma vermuten, die ihr Geld mit dem Abschleppen und Reparieren von Autos verdient, macht sich Tim allein auf die Suche nach der Ursache, die ihn nach Khemkhâh führen, in das Emirat von Scheich Ben Kalisch Ezab. Dort trifft er einen alten Bekannten wieder: Doktor Müller. Und er darf die Bekanntschaft des Scheichs und seines unvergleichlichen Sohnes Abdallah machen.

Kritik: Die Geschichte entstandt ursprünglich zu einem Zeitpunkt vor “Die Krabbe mit den goldenen Scheren”, also bevor Tim Haddock traf. Und ausgerechnet bei “Im Reiche des schwarzen Goldes” war es nicht möglich, den Kapitän einfach so in die Handlung zu integrieren (das Abenteuer nimmt seinen Anfang, als Tim als Funker auf einem Öltanker anheuert, um verdächtigen Spuren nachzugehen; es wäre schlichtweg unmöglich gewesen, Haddock, der ja immerhin Kapitän ist, da mit einzubeziehen). Also bediente sich der Zeichner eines Tricks: Ganz zu Beginn der Geschichte erhält Tim einen Anruf von Haddock. Der Kriegsgefahr wegen ist er zur Marine eingezogen worden und muss ein Schiff kommandieren.

Der Hintergrund eines drohenden Krieges hat mich als junger Leser etwas verwirrt. Natürlich entstand die ursprüngliche Geschichte im Hinblick auf den Zweiten Weltkrieg, der ja eigentlich schon begonnen hatte und nur darauf wartete, dass die Aliierten in den Konflikt eintreten würden. Hergé bleibt allerdings unbestimmt, die Schlagzeilen, die Tim in der Zeitung liest, sprechen lediglich von einem Krieg, aber nicht, wer die kriegführenden Staaten sind. Mitten in der Geschichte hört der Reporter schließlich eine Radiomeldung, dass die Kriegsgefahr gebannt sei.

Ungefähr an dem Punkt, an dem Hergé die Geschichte 1940 das erste Mal abbrechen musste, ist auch der Punkt, wo die Geschichte, die am Anfang wieder recht düster war, endgültig einen leichteren Tritt bekommt. Und sah das ursprüngliche Konzept vor, dass das verdorbene Benzin die Armee des Gegners lahmlegen soll, so ist der Hintergrund nun – wie schon beim Arumbaya-Fetisch – der Kampf von zwei gegnerischen Ölföderungsgesellschaften.

Beinahe schelmisch geht der Zeichner mit Haddock um. Anstatt sich eine weitschweifige Erklärung für seine Abwesenheit und sein plötzliches Auftauchen am Ende der Geschichte auszudenken, macht er es ganz kurz. Als Haddock am Anfang zur Marine eingezogen wird, macht Hergé sich nicht einmal die Mühe, das Schiff des Kapitäns mit einem Namen zu bezeichnen, es heißt nur “XY (der Name muss geheim bleiben)”. Und aus seinem Auftauchen am Schluss macht der Autor einen “running gag”: Jedes Mal, wenn Haddock Tim erzählen will, wie es kommt, dass er so unverhofft auftaucht, wird er unterbrochen.

Gesamt gesehen war das Album keine Steigerung gegenüber dem Doppelband “Die sieben Kristallkugeln” / “Der Sonnentempel”, aber Hergé hatte ein gewisses Niveau erreicht, unter das er fortan nicht mehr fallen sollte, obwohl er noch mit Ideen aufwarten sollte, die manche als “merkwürdig” empfanden.